Bestandsdatenblatt

Dorsch östliche Ostsee

Gültig 05/2012 - 05/2013

Allgemeine Informationen


Ökoregion:Ostsee
Fanggebiet:östliche Ostsee (25-32) FAO 27
Art:Gadus morhua

Wissenschaftliche Begutachtung

Internationaler Rat für Meeresforschung (ICES), Kopenhagen, www.ices.dk

Methode, Frequenz

Jährliche analytische Bestandsberechnung mit Vorhersage unter Verwendung von Fangdaten und zwei unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsreisen. Illegale (IUU) Fänge und Rückwürfe sind in die Berechnung eingeschlossen. Zwei von vier Referenzwerten nach dem Vorsorgeansatz und einer nach dem maximalen Dauerertrag (fischereiliche Sterblichkeit) sind definiert, basierend auf Modellergebnissen. Die Vorsorgeansatz-Biomasse-Referenzpunkte werden seit 2008 nicht mehr verwendet, weil die Änderung der Umweltbedingungen den Bestand weniger produktiv erscheinen lässt. Die Bestandsberechnung weist erhebliche Unsicherheiten auf, vor allem durch die ungenauen Kenntnisse über die Stärke der Nachwuchsjahrgänge, der Menge und Zusammensetzung der Rückwürfe, und die Unsicherheiten bei der Kenntnis der Nahrungsverfügbarkeit. [456] [457]

 

Wesentliche Punkte

2012: Die Laicherbiomasse des Bestandes steigt weiterhin an, allerdings langsamer als im letzten Jahr vorhergesagt, vor allem wegen eines verringerten individuellen Wachstums. Die fischereiliche Sterblichkeit war 2008 – 2011 die niedrigste seit Beginn der Aufzeichnung. Der Bestand wird nach dem Konzept des höchsten nachhaltigen Dauertrages bewirtschaftet und ist inzwischen größer als die alten Biomasse-Referenzpunkte, die ausgesetzt wurden, weil sie zu anspruchsvoll erschienen. [456]

 

Bestands­zustand

Die Grafik zur fischereilichen Sterblichkeit (F) zeigt F in der Altersgruppe 4-6 mit dem Referenzwert nach dem Konzept zur Erlangung des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (Fmsy). Außerdem ist der Referenzwert des Managementplanes (Fmgmt) der sich auf die Altersgruppe 4-7 bezieht und das derzeitige F dieser Altersgruppe dargestellt. Die fischereiliche Sterblichkeit liegt bereits sehr nah am Zielwert des Managementplanes, eine Schwankungsbreite ist jedoch nicht definiert.

 

Laicherbiomasse (Reproduktionskapazität)

  Referenzwerte nicht definiert (nach Vorsorgeansatz)

  Referenzwerte nicht definiert (nach höchstem Dauerertrag)

  Referenzwerte nicht definiert (nach höchstem Dauerertrag)

 

Fischereiliche Sterblichkeit

   nachhaltig bewirtschaftet (nach Vorsorgeansatz)

  innerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach Managementplan)

  angemessen (nach höchstem Dauerertrag)

 

Bestands­entwicklung

Nach einem historischen Anstieg der Biomasse Ende der 1970er Jahre und Maximalfängen von fast 400.000 t nahm der Bestand ab Mitte der 1990er Jahre rasch ab. Bei hoher fischereilicher Sterblichkeit galt der Bestand schnell als stark überfischt, vor allem durch hohe illegale Fänge. Die Nachwuchsproduktion war über fast zwei Jahrzehnte schwach, auch durch unvorteilhafte Umweltbedingungen. Obwohl sich diese nicht entscheidend verbessert haben, haben die Reduzierung des Fischereidrucks und einige etwas bessere Nachwuchsjahrgänge zu einer sehr positiven Bestandsentwicklung geführt. [456] [457]

 

Ausblick

Die Entwicklung des Bestandes, mit noch immer steigender Biomasse aber abnehmendem individuellen Gewicht, deutet darauf hin, dass die derzeitige Tragfähigkeit des Ökosystems erreicht ist. Die Fangmöglichkeiten werden daher in den nächsten Jahren um die jetzige Menge schwanken, da auch die Biomasse nicht mehr entscheidend zunimmt. [456]

 

Umwelt­einflüsse auf den Bestand

Anders als in den meisten anderen Meeresgebieten sind die marinen Fischbestände im Brackwassermeer Ostsee stark von den Umweltbedingungen abhängig. Insbesondere für die erfolgreiche Nachwuchsproduktion (Reproduktion) benötigen die Dorsche salz- und sauerstoffreiches Wasser, das aus der Nordsee in die Ostsee einströmen muss. Sauerstoffarmut in Bodennähe, z.B. durch natürliche oder durch den Menschen erzeugte Nährstoffeinträge in die Ostsee verursacht, ist für die Dorschreproduktion besonders nachteilig. Sie beeinflusst auch die Verbreitung des Bestandes. In der Regel sind nach Einstromereignissen aus der Nordsee unmittelbar stärkere Nachwuchsjahrgänge festzustellen. Solche Einstromereignisse sind in den letzten Jahrzehnten aber immer seltener geworden. Eine erfolgreiche Nachwuchsproduktion findet zurzeit nur im Bornholmbecken (Gebiet 25) statt, da nur hier die benötigten Bedingungen herrschen (siehe auch unter „Biologische Besonderheiten“). [44] [93] [94] [456]

 

Wer und Wie

Das Management erfolgt durch die Europäische Union und zu einem sehr geringen Teil durch die Russische Föderation. Ein EU-Managementplan ist seit 2008 in Kraft. Er sah u.a. die jährliche Reduzierung der fischereilichen Sterblichkeit um 10% bis zum Erreichen einer Ziel-Sterblichkeit (F) von 0,3 vor, insbesondere durch die Reduzierung der Fangtage. Dieser Plan wurde vom ICES 2009 als positiv bewertet (in Übereinstimmung mit dem Vorsorgeansatz) und ist Basis für Fangempfehlung und Festsetzung der Höchstfangmengen, auch nachdem der Zielwert bereits im letzten Jahr unterschritten wurde. Der Managementplan wurde im letzten Jahr überprüft und überarbeitet, die Änderungen aber noch nicht umgesetzt. Weitere Managementinstrumente sind Verordnungen zu Maschenweiten und Selektionseinrichtungen der Netze (z.B. Bacoma), Mindestanlandelängen (MLS) sowie die Einrichtung von Laichschongebieten und -zeiten im Sommer. Seit 2010 ist auch in der Ostsee das „Highgrading“ (Verwerfen legal anlandbarer Fische, um den Fangertrag zu optimieren) verboten. [92] [206] [241] [456]

 

Differenz zwischen Wissen­schaft und Management

Zwischen 1995 und 2008 wurde die legale Höchstfangmenge (TAC) teilweise erheblich oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlung festgesetzt. Zwischen 2002 und 2008 empfahl die Wissenschaft für vier Jahre eine Schließung der Fischerei, um den Bestand schnell und sicher wieder aufzubauen. Seit der Einrichtung des Managementplans 2009 stimmen Fangempfehlung und festgesetzte TACs (EU-Quote plus russische Quote) überein. Seit 2009 wird der TAC nicht ausgefischt. [381] [456] [457]

 

Karten

Verbreitungsgebiet

Managementgebiet

Verbreitungs- und Managementgebiet decken sich seit 2004 (Autonome Wirtschaftszone EU rot, Russland gelb), zuvor wurde eine gemeinsame Höchstfangmenge für beide Dorschbestände festgesetzt. Westlicher und östlicher Dorsch vermischen sich zu unbekannten Anteilen, vor allem in der Arkonasee (östlicher Teil von ICES-Gebiet 24). [456] [457]

 

Anlandungen und TACs (in 1.000 t)

Gesamtfang2011: 54,2 Gesamtfang (50,4 Anlandungen plus 3,9 Rückwürfe); davon Schleppnetze 80%, Kiemennetze 20%
TACs (EU- und russische Quote) 2008: 42,3  2009: 49,4  2010: 56,1  2011: 64,5   2012:  74,2  
[381] [456]

IUU-Fischerei

In der östlichen Ostsee wurden zwischen Anfang der 1990er Jahre und 2007 zwischen 32 und 45% Dorsch zusätzlich zu den Höchstfangmengen illegal entnommen. Nach Auskunft von Vertretern des polnischen Fischereiverbandes hat allein die polnische Fischerei ihre Fangquote um bis zu 100% überzogen. Seit dem Regierungswechsel in Polen im Oktober 2007 werden die Fänge besser kontrolliert, die illegale Entnahme aus dem Gesamtbestand lag 2008 und 2009 unter 10% (2009: 6%). Für 2010 und 2011 geht der ICES von keinen illegalen Fängen aus diesem Bestand mehr aus. [456] [457]

 

Struktur und Fangmethode

Alle Ostsee-Anrainerstaaten unterhalten gerichtete Fischereien. Dorsch wird hauptsächlich mit Schleppnetzen für die menschliche Ernährung gefangen. Außerdem werden z.B. Stellnetze verwendet. Treibnetze und Baumkurren dürfen in der Ostsee nicht eingesetzt werden. Wegen der wenigen Zielarten ist die Fischerei in der Ostsee eher einfach strukturiert. [206] [456] [457]

 

Beifänge und Rückwürfe

Unerwünschte Beifänge von Dorsch in Fischereien mit anderen Zielarten sind selten, weil es kaum gemischte Fischereien mit anderen Zielarten gibt. Allerdings können in der Schleppnetzfischerei variable Mengen von Plattfischen (vor allem Flunder) beigefangen werden. Mit dem Einwachsen stärkerer Nachwuchsjahrgänge in die Fischerei sind die Rückwürfe junger Dorsche 2011 und 2012 gestiegen. [97] [208] [241] [456]

 

Einflüsse der Fischerei auf die Umwelt

Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen kann der Meeresboden geschädigt werden. In der östlichen Ostsee wird Dorsch jedoch vor allem mit pelagischen Schleppnetzen (ohne Grundberührung) gefangen, da das Bodenwasser zu wenig Sauerstoff aufweist und daher vom Dorsch gemieden wird. In Stellnetzfischereien treten – abhängig von Ort und Jahreszeit – teilweise erhebliche Beifänge von Seevögeln auf. Auch marine Säuger können in Teilen der Ostsee beigefangen werden. Treibnetze und Baumkurren dürfen in der Ostsee nicht eingesetzt werden. [30] [97] [206] [208]

 

Biologische Besonder­heiten

Ostseedorsch kann über 20 Jahre alt werden. Dieser große, aber nicht so produktive Dorsch-Bestand der östlichen Ostsee ist von den Veränderungen der Umweltbedingungen in den letzten 20 Jahren („regime shift“) stark betroffen. In der östlichen Ostsee lebt er als marine Fischart am äußersten Rand seines physiologischen Verbreitungsgebietes. Der Dorsch laicht im Sommer in den tiefen Becken der östlichen Ostsee. Er ist für ein erfolgreiches Laichen auf sauerstoffreiches (über 2 mg/l O2) und salzhaltiges Wasser (S über 11) angewiesen. Diese Bedingungen treten zurzeit nur noch in einem schmalen Wasserkörper im Bornholmbecken auf, die östlicheren Laichgebiete (z.B. Gotlandbecken) scheinen dagegen verloren zu sein. Die Verbreitung des Bestandes ist im Moment vor allem auf die Gebiete 25 und 26 beschränkt, seltener kommt er in den nördlichen Gebieten (27-32) vor. Mit dem Anwachsen des Bestandes hat er sich jedoch auch in die Arkonasee ausgebreitet (Gebiet 24), diese Fische zählen formell zum westlichen Dorschbestand.
Hinzu kommen die aus den hydrographischen Bedingungen und aus zu starker Befischung resultierenden Veränderungen im Räuber-Beute-Gefüge („Dorsch-Sprott-Schaukel“). Sprott und Hering sind die wichtigste Nahrung für die erwachsenen Dorsche. Ihre geringere Verfügbarkeit im derzeitigen Dorsch-Hauptverbreitungsgebiet zusammen mit dem wachsenden Nahrungsbedarf führen in den letzten Jahren zu starker Gewichtsabnahme bei den größeren Dorschen. [44] [93] [94] [456]

Zusätzliche Informationen

Dorsch ist für die Ostseefischerei von herausragender Bedeutung, der Wiederaufbau der Bestände daher vorrangiges Ziel des Fischereimanagements. Erhebliche wirtschaftliche Probleme hat der starke Rückgang der Erzeugerpreise für frischen Dorsch 2009 und 2010 (um 50-75%) verursacht. Hierfür ist offenbar das große Angebot an Kabeljau auf dem Weltmarkt verantwortlich. Seit Anfang 2011 sind die Erlöse wieder angestiegen, dennoch kam es für die kleinste Sortierung im Sommer 2012 zu Interventionskäufen durch die EU, um den Marktpreis zu stabilisieren. [13] [456]

 

Soziale Aspekte

Die Dorschfischerei in der östlichen Ostsee wird mit Fahrzeugen aller Größen durchgeführt. Insbesondere die kleineren Fischereibetriebe haben erhebliche Bedeutung für die strukturschwachen Gebiete an den Küsten der Anrainerstaaten. Die allermeisten Fahrzeuge fahren unter EU-Flaggen, die Arbeitsbedingungen an Bord und die Entlohnung erfolgt daher nach EU-Regeln. [13] [185]

 

AutorJahrTitelQuelle
[4]Marine Stewardship Council (MSC)Fisch und Meeresfrüchte aus zertifiziert nachhaltiger Fischereimsc.org
[13]Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Homepageble.de
[14]Fisch-Informationszentrum e.V. (FIZ)Fisch-Informationszentrum e.V. Homepagefischinfo.de
[30]Food and Agriculture Organization (FAO)FAO. © 2003-2010. Fisheries Topics: Technology. Fish capture technology. In: FAO Fisheries and Aquaculture Department [online]. Rome. Updated 2006 15 09.[Cited 10 June 2010]fao.org
[44]Vallin L, Nissling A2000Maternal effects on egg size and egg buoyancy of Baltic cod, Gadus morhua. Implications for stock structure effects on recruitment Fisheries Research 49:21-37
[92]Europäische Union (EU)2007Verordnung (EG) Nr. 1098/2007 des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresplans für die Dorschbestände der Ostsee und für die Fischereien, die diese Bestände befischen, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 779/97europa.eu
[93]Möllmann C, Kornilovs G, Fetter M, Köster FW2005Climate, zooplankton, and pelagic fish growth in the central Baltic Sea ICES Journal of Marine Science 62: 1270-1280
[94]ICES2010Report of the ICES/HELCOM Working Group on Integrated Assessments of the Baltic Sea (WGIAB), 19–23 April 2010, ICES Headquarters, Copenhagen, Denmark. ICES CM 2010/SSGRSP:02. 94 pp.ices.dk
[97]Zydelis R, Bellebaum J, Österblom H, Vetemaa M, Schirmeister B, Stipniece A, Dagys M, van Eerden M, Garthe S2009Bycatch in gillnet fisheries – An overlooked threat to waterbird populations Biological Conservation 142:1269–1281
[185]Europäische KommissionEuropäische Kommission, Fischerei, Homepageeuropa.eu
[206]Europäische Union (EG)2005Verordnung (EG) Nr. 2187/2005 des Rates vom 21. Dezember 2005 mit technischen Maßnahmen für die Erhaltung der Fischereiressourcen in der Ostsee, den Belten und dem Öresund, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1434/98 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 88/98europa.eu
[208]Bellebaum, J2011Untersuchung und Bewertung des Beifangs von Seevögeln durch die passive Meeresfischerei in der Ostsee. BfN-Skripten 295 Bundesamt für Naturschutz, ISBN 978-3-89624-030-9, www.bfn.de
[241]Europäische Union (EG)2011Verordnung (EU) Nr. 579/2011 des europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 850/98 des Rates zur Erhaltung der Fischereiressourcen durch technische Maßnahmen zum Schutz von jungen Meerestieren und der Verordnung (EG) Nr. 1288/2009 des Rates zur Festlegung technischer Übergangsmaßnahmen für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 30. Juni 2011europa.eu
[381]Europäische Union2011Verordnung (EU) Nr. 1256/2011 des Rates vom 30. November 2011 zur Festsetzung der Fangmöglichkeiten für bestimmte Fischbestände und Bestandsgruppen in der Ostsee (2012) und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1124/2010europa.eu
[456]ICES2012Report of the Advisory Committee, 2012. Book 8. Baltic Sea. 8.4.2. Cod in Subdivisions 25–32ices.dk
[457]ICES2012Report of the Baltic Fisheries Assessment Working Group 2012 (WGBFAS), 12 - 19 April 2012, ICES Headquarters, Copenhagen. ICES CM 2012/ACOM:10. 841 pp. 2.4 Cod in Subdivisions 25-32ices.dk