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Auf den Maßstab kommt es an: Wie man den globalen Fußabdruck der Fischerei erfassen kann und wie besser nicht


In der Meereswissenschaft ist ein Streit über den räumlichen Einfluss des Menschen auf das Meer entbrannt. Die eine Seite argumentiert, dass der Anteil der Fläche, die durch die Fischerei genutzt wird, inzwischen viel größer sei als der durch die Landwirtschaft an Land genutzte. Diese Veröffentlichung wurde von der Presse weltweit aufgenommen, sie bedient die Wahrnehmung von einer grundsätzlich nicht nachhaltigen Nutzung des schützenswerten Meeres durch die Fischerei.  Die andere Seite entgegnet, dass das Gegenteil der Fall sei, und die Autoren nur durch eine fragwürdige Auswertung der Daten zu ihren Ergebnissen kämen – denn alle verwenden die gleiche Datengrundlage.

Mehr als 55 Prozent des Ozeans werden industriell befischt. Damit ist der befischte Raum vier Mal so groß wie die landwirtschaftlich genutzten Flächen auf der Erde. Und das, obwohl nur 1,2 Prozent der Gesamtenergie menschlicher Nahrung aus dem Meer kommt. So lauten die Kernaussagen von David Kroodsma und seinen Mitautoren in einem im Februar 2018 in der wissenschaftlichen Zeitschrift Science erschienen Artikel [1].

„Stimmt nicht“, vermeldeten Ricardo Amoroso und sein Team. In einem technischen Kommentar zum Kroodsma-Artikel, veröffentlicht ebenfalls in Science im August 2018, haben sie die gleichen Daten erneut ausgewertet [2]. Das Ergebnis: Nur 4 Prozent der Ozeanfläche werden befischt, der Fischerei-Fußabdruck ist somit um einen Faktor von etwa 3,5 geringer als der Fußabdruck der Landwirtschaft. Wie kann es zu solchen großen Abweichungen der Aussagen bei identischen Eingangsdaten kommen?

Datengrundlage ist für beide Analysen identisch

Grundlage für beide Analysen sind Daten aus dem automatischen Identifikationssystem (AIS), einem satellitengestützten Positionierungssystem, das alle 30 Sekunden einen Standort übermittelt. Die meisten größeren Schiffe weltweit (einschließlich Fischereifahrzeuge) müssen aus Gründen der Verkehrssicherheit AIS an Bord haben. Global Fishing Watch [3], eine unabhängige, internationale Non-Profit-Organisation, sammelt von allen Schiffen der Welt AIS-Daten, um den Schiffstyp (z.B. Fracht oder Fischerei), seine Größe und ggf. die Art des verwendeten Fanggeräts (z.B. Langleine, Ringwade, Schleppnetz) festzustellen. Aufgrund der Bewegungsmuster kann ermittelt werden, wo und wann gefischt wird. Die erfassten Daten werden von Global Fishing Watch öffentlich zur Verfügung gestellt. Sie bilden die Grundlagen beider beschriebenen Analysen. Warum also unterscheiden sich die Berechnungen des globalen Fußabdrucks um einen Faktor größer zehn?

Problem ist die Skalierung der Daten

Das Problem ist die Skalierung. Die für den Originalartikel verwendete Auflösung der Daten von 0,5° am Äquator rastert den Ozean in ein Gitter gleicher Zellen von je ca. 3.100 km2. Das entspricht einer Fläche, die sechs Mal so groß ist wie der Greifswalder Bodden, vier Mal so groß wie Hamburg oder 1,2 Mal so groß wie das Saarland. Kroodsma et al. haben jede dieser Zellen mit einem Fangereignis jeglicher Dauer im Jahr 2016 als befischt gezählt. Die gesamte Fläche einer Zelle trägt dann zum globalen Fußabdruck der Fischerei bei. 55 Prozent der Zellen wurden so als befischt eingestuft. Die Langleinenfischerei ist dabei die am weitesten verbreitete Fangart. Sie wurde auf 45 Prozent der Meeresfläche nachgewiesen, Ringwaden auf 17 Prozent und Schleppnetzfischerei auf 9,4 Prozent. Die Autoren gehen sogar von einem noch höheren Anteil befischter Ozeanfläche aus, da es in einigen Regionen Lücken in der Erfassung gibt (schlechte Satellitenabdeckung, geringer Einsatz von AIS). Unter Annahme einer vollständigen Befischung dieser Gebiete wäre für 2016 von einer Befischung von sogar 73 Prozent des Ozeans auszugehen. Frühere, auf Anlandedaten basierende Studien ergaben bei gleicher Auflösung sogar eine Befischung von mehr als 95 Prozent des Ozeans.

Amoroso und seine Mitautoren wunderten sich über das Ergebnis, arbeiteten sie doch gerade selbst an einer Studie zum Fußabdruck der Fischerei, in diesem Fall der Grundschleppnetzfischerei in Schelfmeergebieten. Ihre Ergebnisse zeigten ein völlig anderes Bild [4]. Daher nahmen Amoroso und sein Team die von Kroodsma et al. verwendeten Daten (alle Fischereimethoden) und wiederholten die Analyse mit erheblich höheren Auflösungen. Diese sind ebenfalls bei Global Fishing Watch verfügbar. Bei einer Auflösung von 0,1° (ca. 123 km2) bzw. 0,01° am Äquator (ca. 1,23 km2) ergab sich eine Befischung von nur 27 Prozent bzw. vier Prozent der Ozeanfläche. Die hochaufgelösten Analysen ergaben also einen genaueren Fußabdruck der Fischerei, der um den Faktor zehn geringer ist als im Originalartikel ermittelt.

Um die Auswirkungen der Skalierung zu verdeutlichen, berechneten Amoroso et al. den Fußabdruck der Schleppnetzfischerei in zwei begrenzten Regionen im Nordpazifik und im Süden von Südamerika. Bei höherer Auflösung mit 0,01° verringerte sich der Abdruck um den Faktor 5,3 bzw. 5,9 (Abb. 1). Ein für die Fischerei mit Schleppnetzen gesperrtes Gebiet von 59.000 km2 erschien bei geringer Auflösung als vollständig befischt. Bei hoher Auflösung hingegen ist erkennbar, dass die Schließung eingehalten wird. Und selbst die höchstauflösende regionale Analyse (0,01°) überschätzt den Schleppnetz-Fußabdruck noch. Fortgeschrittenere Ansätze berücksichtigen die Verteilung der Fischerei in den Zellen durch die Berechnung der tatsächlich befischten Fläche (swept-area-ratio, SAR).

Feinere Skalierung für den Vergleich mit der Landwirtschaft

Auch der Vergleich mit der Landwirtschaft wurde von Amoroso und seinem Team überprüft. Der Originalartikel von Kroodsma et al. beziffert den Fußabdruck der Fischerei als vier Mal so groß wie den der Landwirtschaft (>200 Mio km2 gegenüber 50 Mio km2). Amoroso et al kritisieren auch hier die verwendete Skalierung, die sich erheblich unterscheidet. Für die Landwirtschaft wurden Zellen mit 86 km2 verwendet, für die Fischerei die schon beschriebenen 3.100 km2. Darüber hinaus wurde bei der Landnutzung nur die tatsächlich genutzte Fläche einer Zelle berücksichtigt, bei der Fischerei die gesamte berührte Zelle einbezogen. Die höher aufgelösten Berechnungen von Amoroso et al. führen zu einem besser vergleichbaren Fischerei-Fußabdruck (4 Prozent) der um einen Faktor von etwa 3,5 geringer ist als der Fußabdruck der Landwirtschaft.

In einer Antwort auf den Kommentar von Amoroso et al. verteidigen die Autoren der Originalstudie die Wahl der Skalierung zum einen mit der Vergleichbarkeit zu früheren Studien, aber auch mit der Fragestellung ihrer Studie [5]. Es geht ihrer Meinung nach nicht um die direkte Beeinflussung im unmittelbaren Bereich des eingesetzten Fanggerätes, sondern um die Beeinflussung der Zielarten. Der Fang an einer Stelle beeinflusse die Biomasse im gesamten Verbreitungsgebiet. Da die Zielarten der Ringwaden- und Langleinen-Fischerei, insbesondere Thunfische, zum Teil sehr große Aktionsräume haben, würde durch ihren Fang dieser gesamte Aktionsraum beeinflusst. Dies rechtfertige, selbst bei geringer Auflösung die gesamte Zelle in den Fußabdruck der Fischerei einzubeziehen. Aus ihrer Sicht müsste die Auflösung tatsächlich sogar noch geringer sein, um den Fußabdruck adäquat darzustellen (5° Zellen am Äquator). Bei der landwirtschaftlich genutzten Fläche hingegen sehen die Autoren den Fußabdruck beschränkt auf den ungefähren Bereich der Ökosysteme, in dem ein erheblicher Teil der Nettoprimärproduktivität direkt oder indirekt für den menschlichen Konsum bestimmt ist. Nach ihrer Auffassung ist die damit vergleichbare Fläche im Ozean (befischtes Gebiet) das Gebiet des Ökosystems, in dem der Zielfisch lebt („area that supports targeted fish“) und nicht nur das Gebiet, das von den Fanggeräten berührt wird. Die Autoren sind der Meinung, dass geringer aufgelöste Daten nötig sind, um die Ökosystemeinflüsse im Meer komplett zu erfassen. Dass die moderne Landwirtschaft einen viel größeren Raum als den unmittelbar zur Nahrungsmittelproduktion verwendeten beeinflusst, z.B. das Wasser darunter oder die Luft darüber, berücksichtigen die Autoren nicht.

Schlagzeilen propagieren enormen Fußabdruck der Fischerei

Die Kernaussagen des Originalartikels wurden von diversen Nachrichtenagenturen (vor allem im englischsprachigen Raum) aufgegriffen. Es wurden Schlagzeilen produziert, die einen immensen Fußabdruck der Fischerei propagierten. Die geringe Auflösung, die für die Analysen verwendet wurde, fand allerdings praktisch keine Erwähnung. Die Pressemitteilung der Autoren hob den vermeintlich enormen Fußabdruck hervor, ließ aber methodische Informationen zur Skalierung weg. Auch der Vergleich mit der Landwirtschaft wurde in der medialen Berichterstattung häufig herangezogen. Nicht hinterfragt wurde zudem die ungewöhnliche Angabe des Beitrags der Fischerei zur menschlichen Ernährung: Die Autoren gaben ihn in Relation zur Gesamtenergie (in Kilokalorien) an, üblicherweise wird der Anteil am tierischen Protein für die menschliche Ernährung verwendet. Fisch trägt danach nicht nur 1,2 Prozent, sondern 17 Prozent zur menschlichen Ernährung bei. In einzelnen Gegenden kann der Anteil noch sehr viel höher sein [6].

Der Vergleich der Fischerei mit der Landwirtschaft ist äußerst wichtig für das Verständnis von Naturschutz und Nachhaltigkeit. Die Nahrungsmittel-Produktion sollte auf globaler Ebene untersucht und verglichen werden. Der Originalartikel von Kroodsma et al. und mehr noch die von den Autoren begleitend veröffentlichte Pressemitteilung vergleicht jedoch diffuse, gering aufgelöste Einflüsse der Fischerei mit einer hochaufgelösten, direkten landwirtschaftlichen Nutzung. Ihre Fußabdruck-Berechnung sowie der Vergleich mit der Landwirtschaft führt dazu, dass die Öffentlichkeit glaubt, an Land produzierte Nahrung sei nachhaltiger als Nahrung aus dem Meer. In einer höheren Auflösung betrachtet, beträgt der Fußabdruck der Fischerei jedoch weniger als ein Drittel der globalen Landwirtschaft. Und eine neue Studie zu den Umweltkosten von Nahrungsmitteln ergab, dass tierisches Protein mit der geringsten Umweltauswirkung von Arten stammt, die sich natürlich im Meer ernähren und mit niedrigem Treibstoffeinsatz genutzt werden können [7].

Natürlich muss sich auch die Wissenschaft bemühen, gesellschaftlich relevante Themen zu bearbeiten und öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dies sollte jedoch nie soweit gehen, dass Fehlinterpretationen bewusst in Kauf genommen werden, um die Reichweite zu erhöhen. Das gilt insbesondere in dieser Zeit, in der die Wissenschaft zunehmend das Vertrauen der Öffentlichkeit verliert und es immer schwieriger wird, Fakten von fake news zu unterscheiden.

Literatur und Quellen:

[1] Kroodsma DA, Mayorga J, Hochberg T, Miller NA, Boerder K, Ferretti F, Wilson A, Bergman B, White TD, Block BA, Woods P, Sullivan B, Costello C, Worm B, 2018, Tracking the global footprint of fisheries, Science 359: 904-908, DOI: 10.1126/science.aao5646

[2] Amoroso RO, Parma AM, Pitcher CR, McConnaughey RA, Jennings S, 2018, Comment on "Tracking the global footprint of fisheries", Science 361, DOI: 10.1126/science.aat6713

[3] Global Fishing watch, globalfishingwatch.org

[4] Amoroso RO, Pitcher CR, Rijnsdorp AD, McConnaughey RA, Parma AM, Suuronen P, Eigaard OR, Bastardie F, Hintzen NT, Althaus F, Baird SJ, Black J, Buhl-Mortensen L, Campbell AB, Catarino R, Collie J, Cowan Jr JH, Durholtz D, Engstrom N, Fairweather TP, Fock HO, Ford R, Gálvez PA, Gerritsen H, Góngora ME, González JA, Hiddink JG, Hughes KM, Intelmann SS, Jenkins C, Jonsson P, Kainge P, Kangas M, Kathena JN, Kavadas S, Leslie RW, Lewis SG, Lundy M, Makin D, Martin J, Mazor T, Gonzalez-Mirelis G, Newman SJ, Papadopoulou N, Posen PE, Rochester W, Russo T, Sala A, Semmens JM, Silva C, Tsolos A, Vanelslander B, Wakefield CB, Wood BA, Hilborn R, Kaiser MJ, Jennings S, 2018, Bottom trawl fishing footprints on the world’s continental shelves, PNAS 115(43), DOI: 10.1073/pnas.1802379115

[5] Kroodsma DA, Mayorga J, Hochberg T, Miller NA, Boerder K, Ferretti F, Wilson A, Bergman B, White TD, Block BA, Woods P, Sullivan B, Costello C, Worm B, 2018, Response to Comment on “Tracking the global footprint of fisheries”, Science 361, DOI: 10.1126/science.aat7789

[6] FAO. 2016, The State of World Fisheries and Aquaculture 2016, Contributing to food security and nutrition for all. Rome. 200 pp.

[7] Hilborn R, Banobi J, Hall SJ, Pucylowski T, Walsworth TE, 2018, The environmental costs of animal source foods, Front Ecol Environ 16(6):329-335, DOI: 10.1002/fee.1822