90 Prozent der Fischbestände in den Meeren übernutzt? - Der Zustand der weltweiten Meeresfischbestände ist besser als die meisten Menschen glauben

Aktualisiert 11. Juli 2022

Einer der beliebtesten Mythen im Zusammenhang mit der Nutzung von Meeresfisch ist der von den leergefischten Meeren. Immer wieder werden Zahlen der Welternährungsorganisation FAO zitiert, nach denen „über 90 Prozent der Meeresfischbestände zusammengebrochen oder bis an den Rand genutzt“ seien.

Verlässliche Zahlen für den Zustand der Weltfischbestände kommen von der Welternährungsorganisation FAO. Sie veröffentlicht alle zwei Jahre den SOFIA-Report. Nach dem 2022 erschienenen aktuellsten Bericht, der Daten bis 2019 berücksichtigt, befinden sich 35,4 Prozent der etwa 450 marinen Bestände, über die ausreichende Informationen für eine Klassifizierung nach dem Konzept des maximalen nachhaltigen Dauerertrages (maximum sustainable yield, MSY) vorliegen, im roten Bereich [1]. Sie sind also kollabiert, überfischt oder sich erholend und damit derzeit nicht nachhaltig genutzt. Weitere 57,3 Prozent sind maximal, aber nachhaltig genutzt, und nur 7,2 Prozent haben noch Entwicklungsmöglichkeiten, sind also „unternutzt“ (Abb. 1). Bei dieser Berechnung werden alle analysierten Bestände gleich behandelt, unabhängig von ihrer Größe und der Fangmenge, die sie liefern. In ihrem aktuellen Report weist die FAO daher explizit darauf hin, dass 82,5 Prozent der Anlandungen der von der FAO überwachten Bestände 2019 auf nachhaltig genutzte Bestände entfallen.

Umweltverbände schlagen häufig den „maximal genutzten Bereich“ dem roten Bereich zu, und formulieren dann zum Beispiel „über 90 Prozent der marinen Bestände sind bis ans Limit genutzt oder bereits kollabiert“. Die Formulierung suggeriert, dass bis zur Grenze genutzte Bestände in naher Zukunft kollabieren werden. Dies ist jedoch eine Fehlinterpretation, die so weit verbreitet ist, dass sich die FAO in ihrem SOFIA-Report 2018 zu einer entsprechenden Klarstellung veranlasst sah: Die Kategorie „maximal genutzt“ dürfe nicht mit „überfischt“ vereint werden, denn maximale Nutzung bedeute optimale Nutzung [2]. Tatsächlich ist, entsprechend internationaler Abkommen, die „maximale Nutzung“ die Zielvorstellung des Fischereimanagements. Zwei Drittel der marinen Bestände sind also derzeit im grünen Bereich (Abb. 1), und der Anteil der optimal genutzten Bestände ist über viele Jahre stabil geblieben. Wie anfangs bereits erwähnt, liefern diese Bestände ausserdem den ganz überwiegenden Teil der weltweiten Wildfisch-Anlandemenge. Aber natürlich sind auch 35,4 Prozent Bestände in schlechtem Zustand ein erhebliches Problem, und der Anteil der Bestände im roten Bereich nimmt seit vielen Jahren zu, der unternutzten Bestände dagegen ab (leichter Anstieg 2019), eine Umkehr des Trends ist also nicht erkennbar (Abb. 1). Dieser ist aber wenigstens in europäischen Gewässern bereits erfolgt: Während 2007 76 Prozent der Bestände, bezogen auf den Fischereidruck, noch nicht nach MSY-Ansatz bewirtschaftet wurden (also im roten Bereich waren), sind es aktuell (Zahlen von 2020) nur noch 28 Prozent [3].

Der Zustand der marinen Ressourcen ist also viel besser, als die meisten Menschen glauben, auch wenn wir vom Ziel einer nachhaltigen Nutzung aller Meeresfischbestände noch immer weit entfernt sind. Es gibt also keinen Grund, in den Bemühungen um eine nachhaltige Bewirtschaftung nachzulassen, aber es gibt auch bemerkenswerte Fortschritte die zeigen, dass sich der Aufwand lohnt.

Literatur:

[1] FAO 2022. The State of World Fisheries and Aquaculture 2022. Towards Blue Transformation. Rome, FAO. doi.org/10.4060/cc0461en
[2] FAO 2018. The State of World Fisheries and Aquaculture 2018 - Meeting the sustainable development goals. Rome. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO.
[3] Scientific, Technical and Economic Committee for Fisheries (STECF) 2022 – Monitoring of the performance of the Common Fisheries Policy (STECF-Adhoc-22-01). EUR 28359 EN,  Publications Office of the European Union,  Luxembourg, ISBN 978-92-76-51702-3, doi.org/10.2760/566544, JRC129080