Bestandsdatenblatt

Dorsch westliche Ostsee

Gültig 05/2012 - 05/2013

Allgemeine Informationen


Ökoregion:Ostsee
Fanggebiet:westliche Ostsee (22-24) FAO 27
Art:Gadus morhua

Wissenschaftliche Begutachtung

Internationaler Rat für Meeresforschung (ICES), Kopenhagen, www.ices.dk

 

Methode, Frequenz

Jährliche analytische Bestandsberechnung mit Vorhersage unter Verwendung von Fangdaten und zwei unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsreisen, die alle Altersgruppen ab Alter 1 abdecken. Die Referenzwerte nach dem Konzept des höchsten nachhaltigen Dauerertrages sind definiert (Fmsy, Btrigger). Nach dem Vorsorgeansatz ist nur ein Referenzwert für die Biomasse festgelegt (Bpa). Die Qualität der Bestandsberechnung ist trotz Wechsel des Berechnungsmodells 2009 eher unsicher. Ursache sind u.a. die schlechte Vorhersagbarkeit der Stärke des Nachwuchses, die zunehmende Vermischung von östlichem und westlichem Dorsch in ICES-Gebiet 24 sowie die erhebliche und variable Entnahme durch Angler, die noch nicht in die Berechnungen eingeht. [458] [459]

 

Wesentliche Punkte

2012: Die Überprüfung des Managementplanes ist abgeschlossen und die Wissenschaft empfiehlt eine Reduzierung der Zielsterblichkeit von 0,6 auf 0,33. Die fischereiliche Sterblichkeit ist weiter gesunken und liegt unter dem derzeitigen Referenzwert des Managementplanes, aber über dem Referenzwert des höchsten Dauerertrages. Die Biomasse steigt langsam weiter an und bleibt somit im grünen Bereich. Die positive Entwicklung ist vor allem auf nicht oder später ausgefischte Quoten zurückzuführen: Die beiden letzten kalten Winter mit viel Eisgang haben Teile der Fischerei in den Herbst verschoben. [458] [460]

 

Bestands­zustand

Laicherbiomasse (Reproduktionskapazität)

  volle Reproduktionskapazität (nach Vorsorgeansatz)

  Referenzwerte nicht definiert (nach Managementplan)

  innerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach höchstem Dauerertrag)

 

Fischereiliche Sterblichkeit

  Referenzwerte nicht definiert (nach Vorsorgeansatz)

  innerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach Managementplan)

  übernutzt (nach höchstem Dauerertrag)

 

Bestands­entwicklung

Wie die meisten marinen Fischbestände in der Ostsee ist auch dieser stark von den Umweltbedingungen abhängig. Die Nachwuchsproduktion ist sehr variabel, gleichzeitig war die fischereiliche Sterblichkeit (F) in den letzten 20 Jahren ununterbrochen zu hoch. In der Folge schwankte die Laicherbiomasse seit Anfang der 1990er Jahre um den Vorsorgeansatz-Referenzwert, liegt aber im Moment klar darüber. Seit 2008 ist ein Managementplan in Kraft, der einen Zielreferenzwert für F von 0,6 vorgibt. 2010 wurde dieser (aus jetziger Sicht zu hohe) Zielwert erstmals unterschritten. Die schattierten Bereiche der Grafik zeigen Unsicherheiten in der Berechnung von Laicherbiomasse und fischereilicher Sterblichkeit. Die letzten Nachwuchsjahrgänge liegen unter dem Durchschnittswert der letzten 10 Jahre. [92] [458] [459]

 

Ausblick

Der Managementplan hat sein Ziel (deutliche Reduzierung der fischereilichen Sterblichkeit) zwar erreicht, die anstehende Überarbeitung des Managementplanes wird jedoch noch einmal zu einer vorübergehenden deutlichen Reduzierung der Fänge führen, da die Zielsterblichkeit halbiert werden muss, um im Einklang mit dem MSY-Ansatz zu stehen. [458]

 

Umwelt­einflüsse auf den Bestand

Anders als in den meisten anderen Meeresgebieten sind die marinen Fischbestände im Brackwassermeer Ostsee stark von den Umweltbedingungen abhängig. Insbesondere für die erfolgreiche Nachwuchsproduktion (Reproduktion) benötigen die Dorsche salz- und sauerstoffreiches Wasser, das aus der Nordsee in die westliche Ostsee einströmen muss. Sauerstoffarmut in Bodennähe, z.B. durch natürliche oder durch den Menschen erzeugte Nährstoffeinträge in die Ostsee verursacht, ist für die Dorschreproduktion besonders nachteilig. Sie beeinflusst auch die Verbreitung des Bestandes. In der Regel sind nach Einstromereignissen aus der Nordsee unmittelbar stärkere Nachwuchsjahrgänge festzustellen, so wie zuletzt in den Jahren 2003 und 2008. Die Einstromereignisse sind in den letzten Jahrzehnten immer seltener geworden, was die Fischereimöglichkeiten mittelfristig reduziert. [93] [94] [458]

 

Wer und Wie

Das Management der kommerziellen Fischerei erfolgt durch die Europäische Union. Ein Managementplan ist seit 2008 in Kraft. Er sah die jährliche Reduzierung der fischereilichen Sterblichkeit um 10% bis zum Erreichen einer bestimmten Ziel-Sterblichkeit vor, insbesondere durch die Reduzierung der Fangtage. Dieser Plan wurde vom ICES 2009 als positiv bewertet (in Übereinstimmung mit dem Vorsorgeansatz) und ist Basis für Fangempfehlung und Festsetzung der Höchstfangmengen. Der aktuelle Zielwert des Managementplanes liegt weit über dem Referenzwert für die fischereiliche Sterblichkeit nach dem Konzept des höchsten Dauerertrags (MSY). Der Managementplan wurde im letzten Jahr überarbeitet, die erforderlichen Änderungen wurden jedoch noch nicht umgesetzt. Weitere Managementinstrumente sind Verordnungen zu Maschenweiten und Selektionseinrichtungen der Netze (z.B. Bacoma), Mindestanlandelängen (MLS) sowie die Einrichtung von Laichschonzeiten (seit 2009 im April). Seit 2010 ist auch in der Ostsee das „Highgrading“ (Verwerfen legal anlandbarer Fische, um den Fangertrag zu optimieren) verboten. Die Freizeitfischerei, überwiegend durch Angler durchgeführt, ist (bis auf MLS) nicht reguliert, obwohl jüngere Untersuchungen gezeigt haben, dass sie erhebliche (bis zu 50% der Fangmenge der kommerziellen Fischerei im gleichen Gebiet) und variable Mengen an westlichem Dorsch entnimmt. [92] [241] [458] [459]

 

Differenz zwischen Wissen­schaft und Management

2005-2009 wurde die legale Höchstfangmenge (TAC) teilweise erheblich oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlung festgesetzt. Seit der Einrichtung des Managementplans 2010 stimmen Fangempfehlung und festgesetzte TACs überein. Die dringend erforderliche Anpassung des Managementplanes (insbes. der Zielsterblichkeit) wurde bislang nicht vorgenommen, der Bestand kann damit weiterhin nicht nach dem MSY-Ansatz bewirtschaftet werden. [381] [458] [460]

 

Karten

Verbreitungsgebiet

Managementgebiet

Verbreitungs- und Managementgebiet decken sich seit 2004, zuvor wurde eine gemeinsame Höchstfangmenge für beide Dorschbestände festgesetzt. Westlicher und östlicher Dorsch vermischen sich zu unbekannten Anteilen, vor allem in der Arkonasee (östlicher Teil von ICES-Gebiet 24), in die sich der große östliche Dorschbestand zunehmend ausbreitet. [458] [459]

 

Anlandungen und TACs (in 1.000 t)

Gesamtfang2011: 17,2 Gesamtfang (16,3 Anlandungen plus 0,9 Rückwürfe); davon Schleppnetze 68%, Kiemennetze 32%
TACs 2007: 26,7  2008: 19,2  2009: 16,3  2010: 17,7  2011: 18,8  
2012: 21,3 [381] [458]

IUU-Fischerei

In der westlichen Ostsee werden nicht- und falschberichtete Fänge seit 1995 nicht mehr als wesentliches Problem angesehen, sie liegen unter 10% der Anlandungen. 2006-2008 gab es Hinweise, dass Fänge im Kattegat illegal als aus der westlichen Ostsee gefischt berichtet wurden, was den Bestand produktiver erscheinen lassen könnte. Dieses Schlupfloch wurde ab 2009 geschlossen. [459]

 

Struktur und Fangmethode

Alle Ostsee-Anrainerstaaten unterhalten gerichtete Fischereien. Der Dorsch der westlichen Ostsee wird überwiegend in einer gemischten Grundfisch-Fischerei gemeinsam mit verschiedenen Plattfischen gefangen. Er wird hauptsächlich mit Grundschleppnetzen für die menschliche Ernährung gefischt, außerdem werden z.B. Stellnetze verwendet. Treibnetze und Baumkurren dürfen in der Ostsee nicht eingesetzt werden. Wegen der wenigen Zielarten ist die Fischerei in der Ostsee eher einfach strukturiert. [206] [459]

 

Beifänge und Rückwürfe

In der Schleppnetzfischerei können variable Mengen von Plattfischen (vor allem Flundern) beigefangen werden. Rückwürfe von Dorschen sind derzeit kein großes Problem, 2011 lag die Rückwurfrate bezogen auf das Anlandegewicht bei etwa 5%. In Jahren, in denen starke Nachwuchsjahrgänge in die Fischerei einwachsen, können diese Anteile aber steigen. Das Verwerfen legal anlandbarer Fische ("Highgrading") ist selten und daher ohne Einfluss auf den Bestand bzw. die Bestandsberechnung. Die EU hat diese Praxis wie schon in der Nordsee seit Anfang 2010 verboten. [241] [458] [459]

 

Einflüsse der Fischerei auf die Umwelt

Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen kann der Meeresboden geschädigt werden. In Stellnetzfischereien treten – abhängig von Ort und Jahreszeit – teilweise erhebliche Beifänge von Seevögeln auf. Auch marine Säuger können in Teilen der Ostsee beigefangen werden, hier insbesondere Schweinswale in Gebiet 22 und 24. Treibnetze und Baumkurren dürfen in der Ostsee nicht eingesetzt werden. [30] [97] [206] [208]

 

Biologische Besonder­heiten

Ostseedorsch kann über 20 Jahre alt werden. Er laicht in den tiefen Bereichen der westlichen Ostsee im zeitigen Frühjahr und damit deutlich früher als der viel größere benachbarte Bestand der östlichen Ostsee, der im Sommer laicht.
Der kleine, aber produktive Bestand der westlichen Ostsee ist von der abrupten Änderungen der Umweltbedingungen Mitte der 1990er Jahre („regime shift“) und den daraus und aus zu starker Befischung resultierenden Veränderungen im Räuber-Beute-Gefüge (”Dorsch-Sprott-Schaukel”) weniger betroffen als der östliche Bestand. Trotzdem treten starke Nachwuchsjahrgänge insbesondere nach Salzwasser- Einstromereignissen aus der Nordsee auf, die in den letzten Jahrzehnten immer seltener wurden. Die Entnahme durch den Menschen muss an die variablen und vom Menschen nicht beeinflussbaren Bedingungen angepasst werden. [93] [94] [458]

Zusätzliche Informationen

Dorsch ist für die Ostseefischerei von herausragender Bedeutung, der Wiederaufbau der Bestände ist daher vorrangiges Ziel des Fischereimanagements. Erhebliche wirtschaftliche Probleme hat der starke Rückgang der Erzeugerpreise für frischen Dorsch 2009 und 2010 (um 50-75%) verursacht. Hierfür ist offenbar das große Angebot an Kabeljau auf dem Weltmarkt verantwortlich. Die Anlandepreise scheinen sich ab 2011 wieder zu erholen.
Jüngere Untersuchungen weisen darauf hin, dass der Dorsch im ICES-Gebiet 23 einen eigenen Bestand bilden könnte. [13] [14] [458]

Zertifizierte Fischereien

Bislang ist keine Dorschfischerei in der westlichen Ostsee nach einem der gängigen Nachhaltigkeitsstandards zertifiziert.

 

Soziale Aspekte

Die Dorschfischerei in der westlichen Ostsee wird überwiegend mit kleinsten bis mittelgroßen Fahrzeugen durchgeführt. Diese Fischereibetriebe haben erhebliche Bedeutung für die strukturschwachen Gebiete an den Küsten der Anrainerstaaten. Die Fahrzeuge fahren unter EU-Flaggen, die Arbeitsbedingungen an Bord und die Entlohnung erfolgt daher nach EU-Regeln. [13]

 

AutorJahrTitelQuelle
[13]Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Homepageble.de
[14]Fisch-Informationszentrum e.V. (FIZ)Fisch-Informationszentrum e.V. Homepagefischinfo.de
[30]Food and Agriculture Organization (FAO)FAO. © 2003-2010. Fisheries Topics: Technology. Fish capture technology. In: FAO Fisheries and Aquaculture Department [online]. Rome. Updated 2006 15 09.[Cited 10 June 2010]fao.org
[93]Möllmann C, Kornilovs G, Fetter M, Köster FW2005Climate, zooplankton, and pelagic fish growth in the central Baltic Sea ICES Journal of Marine Science 62: 1270-1280
[94]ICES2010Report of the ICES/HELCOM Working Group on Integrated Assessments of the Baltic Sea (WGIAB), 19–23 April 2010, ICES Headquarters, Copenhagen, Denmark. ICES CM 2010/SSGRSP:02. 94 pp.ices.dk
[97]Zydelis R, Bellebaum J, Österblom H, Vetemaa M, Schirmeister B, Stipniece A, Dagys M, van Eerden M, Garthe S2009Bycatch in gillnet fisheries – An overlooked threat to waterbird populations Biological Conservation 142:1269–1281
[206]Europäische Union (EG)2005Verordnung (EG) Nr. 2187/2005 des Rates vom 21. Dezember 2005 mit technischen Maßnahmen für die Erhaltung der Fischereiressourcen in der Ostsee, den Belten und dem Öresund, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1434/98 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 88/98europa.eu
[208]Bellebaum, J2011Untersuchung und Bewertung des Beifangs von Seevögeln durch die passive Meeresfischerei in der Ostsee. BfN-Skripten 295 Bundesamt für Naturschutz, ISBN 978-3-89624-030-9, www.bfn.de
[241]Europäische Union (EG)2011Verordnung (EU) Nr. 579/2011 des europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 850/98 des Rates zur Erhaltung der Fischereiressourcen durch technische Maßnahmen zum Schutz von jungen Meerestieren und der Verordnung (EG) Nr. 1288/2009 des Rates zur Festlegung technischer Übergangsmaßnahmen für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 30. Juni 2011europa.eu
[381]Europäische Union2011Verordnung (EU) Nr. 1256/2011 des Rates vom 30. November 2011 zur Festsetzung der Fangmöglichkeiten für bestimmte Fischbestände und Bestandsgruppen in der Ostsee (2012) und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1124/2010europa.eu
[458]ICES2012Report of the Advisory Committee, 2012. Book 8. Baltic Sea. 8.4.1. Cod in Subdivisions 22–24ices.dk
[459]ICES2012Report of the Baltic Fisheries Assessment Working Group 2012 (WGBFAS), 12 - 19 April 2012, ICES Headquarters, Copenhagen. ICES CM 2012/ACOM:10. 841 pp. 2.3 Cod in Subdivisions 22-24ices.dk
[460]ICES2011Report of the ICES WKROUNDMP2 2011 / STECF EWG 11-07. Evaluation and Impact Assessment of Management Plans PT II, 20 - 24 June 2011, Hamburg, Germany. ICES CM 2011/ACOM:56. 331 pp.ices.dk