Bestandsdatenblatt

Nordost-Arktischer Kabeljau

Gültig 06/2013 - 06/2014

Allgemeine Informationen


Ökoregion:Barentsmeer (Nordost-Arktis), Norwegische See
Fanggebiet:Nordost-Arktis und Norw. See (1, 2.ab) FAO 27
Art:Gadus morhua

Wissenschaftliche Begutachtung

Internationaler Rat für Meeresforschung (ICES), Kopenhagen, www.ices.dk

Methode, Frequenz

Jährliche analytische Bestandsberechnung mit Vorhersage unter Verwendung von Fangdaten und drei unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsreisen, die Jungtiere und Erwachsene erfassen. Alle 6 Referenzwerte nach dem Konzept des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (MSY) und dem Vorsorgeansatz (Fpa, Flim, Bpa, Blim) sind definiert. [658] [659]

 

Wesentliche Punkte

2013: Der Bestand wächst weiter an, die Laicherbiomasse erreicht mit fast 2 Mio t den höchsten Wert seit Beginn der Zeitreihe (1946). Die fischereiliche Sterblichkeit liegt weiterhin unterhalb aller Referenzwerte. Im vierten Jahr in Folge gibt es keine Hinweise auf illegale Fänge aus diesem Bestand. [658] [659] [660]

 

Bestands­zustand

Laicherbiomasse (Reproduktionskapazität)

  volle Reproduktionskapazität (nach Vorsorgeansatz)

  über dem Grenzwert (nach Managementplan)

  innerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach höchstem Dauerertrag)

 

Fischereiliche Sterblichkeit

  nachhaltig bewirtschaftet (nach Vorsorgeansatz)

  innerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach Managementplan)

  angemessen (nach höchstem Dauerertrag)

 

Bestands­entwicklung

Der Bestand nahm Ende der 1950er Jahre schnell ab, trotzdem blieben die Fänge hoch (über 700.000 t in vielen Jahren bis Ende der 1970er Jahre), und die fischereiliche Sterblichkeit nahm fast kontinuierlich zu. Zwischen 1965 und 1990 schwankte die Biomasse um den Limit-Referenzwert. Erst durch ein paar stärkere Jahrgänge, einen strikten Managementplan ab 2004 und die Bekämpfung der illegalen und unregulierten Fischerei gelang es, den Bestand wieder aufzubauen. Nordost-Arktischer Kabeljau ist nun der weltweit größte Kabeljaubestand, er liefert derzeit mehr Ertrag als alle anderen europäischen Kabeljau-/Dorschbestände zusammen. [658] [659] [660]

 

Ausblick

Der Bestand ist in sehr gutem Zustand. Auch wenn die Nachwuchsproduktion und Biomasse wahrscheinlich nicht mehr deutlich zunehmen werden, ist aufgrund der hohen Laicherbiomasse und dem geringen Fischereidruck mit stabilen Fangmengen zu rechnen. [658]

 

Umwelt­einflüsse auf den Bestand

Die Zusammensetzung und Verbreitung von Arten in der Barentssee hängt von der Lage der polaren Front ab. Die Nachwuchsproduktion des Kabeljaus in der Nordost-Arktis variiert wahrscheinlich mit dem Einstrom von Atlantik-Wasser in die Barentssee. Dieser Bestand ist stark von der Verfügbarkeit kleiner Schwarmfische abhängig, vor allem von der Lodde (Mallotus villosus) und vom norwegischen frühjahrslaichenden Hering. Starke natürliche Populationsschwankungen der Lodde beeinflussen das Wachstum, die Reife und die Fruchtbarkeit des Kabeljaus. Indirekt beeinflusst die Lodde auch die Nachwuchsproduktion des Kabeljaus: In Jahren mit niedrigem Vorkommen der Lodde ist der Kannibalismus beim Kabeljau sehr ausgeprägt. Die Verbreitung des Kabeljaus hat sich in den letzten Jahren nach Norden und Osten ausgedehnt und ist nun die weiteste, die je beobachtet wurde (bis 80°N und 56°O). [53] [658] [659]

 

Wer und Wie

Das Management erfolgt gemeinsam durch Norwegen und die Russische Föderation durch die "Joint Norwegian-Russian Fisheries Commission“ (JNRFC). 2004 wurde ein Managementplan (Harvest Controle Rule) eingeführt, der einen Zielwert für die fischereiliche Sterblichkeit vorgibt und Veränderungen der zulässigen Höchstfangmenge auf jährlich ±10% begrenzt. Diese Begrenzung gilt nicht, wenn die fischereiliche Sterblichkeit unter 0,3 liegt (Regel ergänzt Nov. 2009). 2010 wurde entschieden, dass dieser Managementplan bis 2015 verwendet wird. Der ICES hat den modifizierten Plan als im Einklang mit dem Vorsorgeansatz und dem MSY-Konzept bewertet. Er ist Basis für Fangempfehlung und Festsetzung der Höchstfangmenge (TAC). Der TAC beinhaltet einen Anteil für den Bestand des norwegischen Küsten-Kabeljaus, der zum Teil in der gleichen Fischerei gefangen wird und nicht separiert werden kann. Neben dem TAC wird diese Fischerei durch Mindestfanggrößen, Festlegung minimaler Maschenweiten, Sortiereinrichtungen, maximal zulässige Menge von juvenilen Fischen als Beifang, Echtzeitschließungen, Gebietsbeschränkungen und saisonale Schließungen reguliert. Seit Januar 2011 sind die technischen Regularien von Norwegen und Russland aufeinander abgestimmt. Eine Fischereikontrolle erfolgt durch Inspektionen auf See und generell bei allen Anlandungen, sowie durch Logbücher und tägliche Meldungen an die zuständigen Behörden. [81] [657] [658]

 

Differenz zwischen Wissen­schaft und Management

Zwischen 2004 und 2011 wurde die Fangmenge nur 2005 und 2006 im Einklang mit der wissenschaftlichen Empfehlung festgesetzt. 2007 konnte aufgrund der ±10 %-Klausel im Managementplan die Fangmenge nicht den Empfehlungen entsprechend gesenkt werden, wurde aber für 2009 über die 10% hinaus erhöht. Aufgrund einer Modifizierung des Managementplanes (siehe unter „Wer und Wie“) konnte der TAC 2010 auch im Einklang mit dem Plan um mehr als 10% erhöht werden. 2011 und 2012 stimmten wissenschaftliche Empfehlung und Höchstfangmenge überein. Der 2013er TAC wurde über den Managementplan-basierten Empfehlungen festgelegt, liegt aber im Rahmen einer Nutzung nach MSY. [657] [658]

 

Karten

Verbreitungsgebiet

Managementgebiet

Verbreitungs- und Managementgebiete decken sich, allerdings gibt es nationale Regelungen der Küstenstaaten und Sonderregelungen in internationalen Gewässern. [658]

 

Anlandungen und TACs (in 1.000 t)

Gesamtfang2012: Anlandungen: 754,1; davon Grundschleppnetze 70%, andere Geräte 30%
TACs (inkl. Küsten-Kabeljau)2007: 424   2008: 430  2009: 525  2010: 607  2011: 703  
2012: 751  2013: 1.000 [657] [658]

IUU-Fischerei

Die "Joint Norwegian-Russian Fisheries Commission“ vermeldet das vierte Jahr in Folge keine illegale Fischerei auf Schellfisch und Kabeljau in der Barentssee. Illegale Fänge waren zuvor jahrelang ein erhebliches Problem: Bis zu 25% (über 100.000 t jährlich) wurden zusätzlich zu den legalen TACs entnommen. Bessere Kontrollen (auch bei Umladung auf See) und Vereinbarungen zwischen Russland und Norwegen haben seit 2007 die IUU-Fischerei stark reduziert. [658] [660]

 

Struktur und Fangmethode

Der Nordost-Arktische Kabeljau wird vor allem von großen Fabrikschiffen/Vollfrostern in einer gemischten Fischerei mit Grundschleppnetzen gefangen, von der auch Schellfisch, Seelachs und Seewolf angelandet werden. Zusätzlich wird der er küstennah mit Langleinen, Kiemennetzen und der Handleine von kleineren Fahrzeugen gefangen. Wichtigste Fangnationen sind mit Abstand Norwegen und Russland, aber auch isländische, färöische und EU-Fahrzeuge haben Fangrechte. [39] [658] [659]

 

Beifänge und Rückwürfe

Rückwürfe von quotierten Arten wie Kabeljau, Schellfisch, Seelachs und Rotbarsch sind sowohl in Norwegen als auch in Russland illegal, kommen aber zu bestimmten Zeiten zum Teil in erheblichem Maße vor. An einer Quantifizierung dieser Rückwürfe wird zurzeit intensiv gearbeitet, sie gehen noch nicht in die Bestandsberechnung ein. Wenn zu viele untermaßige Fische in den Fängen vorkommen (mehr als 15%), werden einzelne Gebiete zeitnah für die Fischerei geschlossen. Einige Gebiete sind zum Schutz von jungen Schellfischen und Kabeljau komplett geschlossen. Selektivere Fanggeräte haben den Fang und Rückwurf von Jungfischen seit 1997 reduziert. Mögliche Beifänge sind in dieser Fischerei Rotbarsche und norwegischer Küsten-Kabeljau. [39] [658] [659]

 

Einflüsse der Fischerei auf die Umwelt

Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen kann der Meeresboden geschädigt werden. Sie fangen neben den Zielarten auch Arten, die nicht kommerziell genutzt werden und deren Entnahme einen Einfluss auf das Ökosystem haben kann. Auf sandigem Boden konnten allerdings keine großen Veränderungen festgestellt werden. In der Nordost-Arktis können Grundschleppnetze vor allem einen negativen Effekt auf empfindliche Bodenlebewesen-Gemeinschaften haben, die auf Hartsubstrat vorkommen. Diese sind in der Barentssee aber weitgehend auf die Randbereiche beschränkt (z.B. Seetangwälder an der Norwegischen und Svalbard-Küste). Besonders empfindlich sind Schwämme und Kaltwasser-Korallen. Die Kartierung der Kaltwasser-Riffe schreitet stetig voran, auch Fischer versuchen den Kontakt mit Riffen zu vermeiden, um ihr Gerät zu schonen. In einigen Gebieten ist zum Schutz dieser Riffe der Einsatz von Grundschleppnetzen verboten. Verlorengegangene Geräte wie Kiemennetze können für eine gewisse Zeit weiterfischen (ghost fishing). Der Einfluss des „ghost fishing“ ist jedoch noch nicht quantifiziert worden. [7] [8] [30] [83] [149] [507]

 

Biologische Besonder­heiten

Der nordostarktische Kabeljau kann bis 170 cm lang und 55 kg schwer werden. Das Alter der ersten Geschlechtsreife hat in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen. Hat der Kabeljau in den 1940er Jahren durchschnittlich im Alter von über 10 Jahren erstmals gelaicht, wird er seit den 1980er Jahren schon im Alter von 6 bis 7 Jahren geschlechtsreif. Ob dies durch fischereibedingte genetische Selektion hervorgerufen wird, und ob der Vorgang bei nachlassendem Fischereidruck umkehrbar wäre, wird derzeit kontrovers diskutiert. 2012 und 2013 haben in den Altersklassen 6 und 7 ein geringerer Anteil Fische am Laichgeschäft teilgenommen, was auf einen reversiblen Vorgang der früheren Reifung schließen ließe. Erwachsene Tiere unternehmen jährlich eine Laichwanderung in bestimmte Laichgebiete an der norwegischen Westküste. Das Laichen findet im Freiwasser, vor allem im Gebiet um die Lofoten und Vesteralen, zwischen Februar und April statt. Der Kabeljau ist die wichtigste räuberische Fischart in der Barentssee und ernährt sich von größerem Zooplankton, Jungfischen (z.B. Lodde, Hering und Schellfisch) und Garnelen. [37] [39] [53] [658] [659]

 

Zusätzliche Informationen

Der während der Laichzeit bei den Lofoten gefischte Kabeljau wird auch „Skrei“ genannt, was so viel wie „Wanderer“ bedeutet. Der „Skrei“ ist durch sein besonders feines und weißes Fleisch als Speisefisch sehr beliebt. Ein zunehmender Anteil von Fängen aus diesem Bestand wird auf See gefroren umgeladen und zur Filetierung nach Fernost (v.a. China) transportiert. Potentiell problematisch ist der Fang von Kabeljau an der norwegischen Küste, wo er sich mit dem Küsten-Kabeljau, der in schlechtem Zustand ist, mischen kann. [2] [14] [37] [39] [658] [659]

 

Soziale Aspekte

Die Fahrzeuge in der Norwegischen See und im Barentsmeer fahren unter norwegischer, russischer, färöischer, isländischer oder EU-Flagge, die Arbeitsbedingungen an Bord und die Entlohnung erfolgt daher nach den (sehr unterschiedlichen) Regeln dieser Staaten. [13] [39]

 

AutorJahrTitelQuelle
[2]Muus BJ, Nielsen JG1999Die Meeresfische Europas Franckh-Kosmos Verlag
[4]Marine Stewardship Council (MSC)Fisch und Meeresfrüchte aus zertifiziert nachhaltiger Fischereimsc.org
[7]Kaiser MJ, Ramsay K, Ramsay K, Richardson CA, Spence FE, Brand AR2000Chronic fishing disturbance has changed shelf sea benthic community structure Journal of Animal Ecology 69:494-503
[8]Hiddink JG, Jennings S, Kaiser MJ, Queirós AM, Duplisea DE, Piet GJ2006Cumulative impacts of seabed trawl disturbance on benthic biomass, production, and species richness in different habitats Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences 63:721-736
[13]Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Homepageble.de
[14]Fisch-Informationszentrum e.V. (FIZ)Fisch-Informationszentrum e.V. Homepagefischinfo.de
[30]Food and Agriculture Organization (FAO)FAO. © 2003-2010. Fisheries Topics: Technology. Fish capture technology. In: FAO Fisheries and Aquaculture Department [online]. Rome. Updated 2006 15 09.[Cited 10 June 2010]fao.org
[37]Havforskningsinstituttet, NorwegenOnline Portal des Havforskningsinstituttet (Institut für Meeresforschung), Norwegenimr.no
[39]Fischereiverwaltung, NorwegenOnline Portal des Fiskeridirektoratet (Fischereiverwaltung), Norwegenfiskeridir.no
[53]Drinkwater KF2005The response of Atlantic cod (Gadus morhua) to future climate change ICES Journal of Marine Science 62:1327-1337
[81]Ministerium für Handel, Industrie und Fischerei, NorwegenOnline Portal des Nærings- og fiskeridepartementet (Ministerium für Handel, Industrie und Fischerei), Norwegenregjeringen.no
[83]Fossa JH, Mortensen PB, Furevik DM2002The deep-water coral Lophelia pertusa in Norwegian waters: distribution and fishery impacts Hydrobiologia 471:1-12
[149]MAREANO: The Sea in Maps and PicturesMareano Homepage: Vulnerable biotope mapsmareano.no
[507]ICES2009Report of the Advisory Committee 2009, Book 3. The Barents Sea and the Norwegian Sea. Human impacts on the ecosystemices.dk
[657]Ministry of Fisheries and Coastal Affairs, Norwegen2012Historically high cod quota in the Norwegian–Russian Fisheries Agreement for 2013, Press release, 16.10.2012, No.: 75/2012regjeringen.no
[658]ICES2013Report of the Advisory Committee 2013, Book 3. The Barents Sea and the Norwegian Sea. 3.4.1. Cod in Subareas I and II (Northeast Arctic cod)ices.dk
[659]ICES2013Report of the Arctic Fisheries Working Group (AFWG), 18 - 24 April 2013, ICES Headquarters, Copenhagen. ICES CM 2013/ACOM:05. 726 ppices.dk
[660]Ministry of Fisheries and Coastal Affairs, Norwegen2013Winning the war on illegal fishing in the Barents Sea, Press release, 18.04.2013, No.: 45/2013regjeringen.no