Bestandsdatenblatt

Nordost-Arktischer Kabeljau

Gültig 06/2016 - 06/2017

Allgemeine Informationen


Ökoregion:Barentsmeer (Nordost-Arktis), Norwegische See
Fanggebiet:Nordost-Arktis und Norw. See (1, 2.ab) FAO 27
Art:Gadus morhua

Wissenschaftliche Begutachtung

Internationaler Rat für Meeresforschung (ICES), Kopenhagen, www.ices.dk

Methode, Frequenz

Jährliche analytische Bestandsberechnung mit Vorhersage unter Verwendung von Fangdaten und vier unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsreisen, die Jungtiere und Erwachsene erfassen. Alle Referenzwerte nach dem Konzept des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (Fmsy, MSY-Btrigger) und dem Vorsorgeansatz (Fpa, Flim, Bpa, Blim) sind definiert. [938] [942]

 

Wesentliche Punkte

2016: Der Bestand liegt noch komplett im grünen Bereich, die Laicherbiomasse ist allerdings weiter gesunken (in den letzten drei Jahren um über 1 Mio. t). Die fischereiliche Sterblichkeit wurde im letzten Jahr knapp unter dem Managementziel und dem Referenzwert nach dem Konzept des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages stabilisiert (Fmsy). [938] [942]

 

Bestands­zustand

Laicherbiomasse (Reproduktionskapazität)

  volle Reproduktionskapazität (nach Vorsorgeansatz)

  über dem Grenzwert (nach Managementplan)

  innerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach höchstem Dauerertrag)

 

Fischereiliche Sterblichkeit

  nachhaltig bewirtschaftet (nach Vorsorgeansatz)

  innerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach Managementplan)

  angemessen (nach höchstem Dauerertrag)

 

Bestands­entwicklung

Der Bestand nahm Ende der 1950er Jahre schnell ab, trotzdem blieben die Fänge hoch (über 700.000 t in vielen Jahren bis Ende der 1970er Jahre), und die fischereiliche Sterblichkeit nahm fast kontinuierlich zu. Zwischen 1965 und 1990 schwankte die Biomasse um den Limit-Referenzwert. Erst durch ein paar stärkere Jahrgänge, einen strikten Managementplan ab 2004 und die Bekämpfung der illegalen und unregulierten Fischerei gelang es, den Bestand wieder aufzubauen. Die Laicherbiomasse liegt seit 2002 über dem Referenzwert nach dem Konzept des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (MSY-Btrigger), ist aber in den letzten zwei Jahren schnell gesunken. Nordost-Arktischer Kabeljau ist noch immer der weltweit größte Kabeljaubestand, er liefert derzeit mehr Ertrag als alle anderen europäischen Kabeljau-/Dorschbestände zusammen. Die fischereiliche Sterblichkeit liegt seit 2007 im grünen Bereich. Die Nachwuchsjahrgänge 2011–2014 liegen über oder um das Langzeitmittel, der 2015er-Jahrgang erscheint deutlich schwächer. [938] [942]

 

Ausblick

Die Laicherbiomasse von Nordost-Arktischem Kabeljau hat in den letzten drei Jahren stark abgenommen, der Bestand wird aber noch nach dem höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrag (MSY) bewirtschaftet. Um dies auch weiterhin sicher zu stellen, müssten die Fangmengen reduziert werden. Der Managementplan begrenzt die Reduzierung der Fangmengen auf 10%; die Biomasse sinkt derzeit jedoch schneller, und die Höchstfangmengen wurden im letzten Jahre gar nicht reduziert. Wenn die Biomasse sich weiter reduziert, müssen die Fangmengen entweder auf einen Schlag deutlich reduziert oder der Managementplan gebrochen werden. [938] [942]

 

Umwelt­einflüsse auf den Bestand

Die Zusammensetzung und Verbreitung von Arten im Barentsmeer hängt von der Lage der polaren Front ab. Die Nachwuchsproduktion des Kabeljaus in der Nordost-Arktis variiert wahrscheinlich mit dem Einstrom von Atlantik-Wasser in das Barentsmeer. Dieser Bestand ist stark von der Verfügbarkeit kleiner Schwarmfische abhängig, vor allem von der Lodde (Mallotus villosus) und vom norwegischen frühjahrslaichenden Hering. Starke natürliche Populationsschwankungen der Lodde beeinflussen das Wachstum, die Reife und die Fruchtbarkeit des Kabeljaus. Indirekt beeinflusst die Lodde auch die Nachwuchsproduktion des Kabeljaus: In Jahren mit geringem Vorkommen der Lodde ist der Kannibalismus beim Kabeljau sehr ausgeprägt. Das Management hat für 2016 und 2017 die Fangmenge nicht dem Managementplan entsprechend abgesenkt, weil wenig Lodde für die Ernährung des Kabeljaus zur Verfügung steht. Die Verbreitung des Kabeljaus hat sich in den letzten Jahren nach Norden und Osten ausgedehnt. Wahrscheinlich ist dies auch eine Folge des Klimawandels. [53] [938] [942]

 

Wer und Wie

Die Bewirtschaftung erfolgt gemeinsam durch Norwegen und die Russische Föderation durch die "Joint Norwegian-Russian Fisheries Commission“ (JNRFC). 2004 wurde ein Managementplan (Harvest Control Rule) eingeführt, der einen Zielwert für die fischereiliche Sterblichkeit vorgibt und Veränderungen der zulässigen Höchstfangmenge auf jährlich ±10% begrenzt. Diese Begrenzung gilt nicht, wenn die fischereiliche Sterblichkeit unter 0,3 liegt, dann sind auch größere Zunahmen möglich (Regel ergänzt Nov. 2009). Der Plan ist Basis für Fangempfehlung und Festsetzung der Höchstfangmenge (TAC). Die norwegische Quote beinhaltet einen Anteil für Fänge aus dem Bestand des norwegischen Küsten-Kabeljaus, der zum Teil in der gleichen Fischerei gefangen wird und nicht separiert werden kann (2016: 21.000 t). Neben dem TAC wird diese Fischerei durch Mindestfanggrößen, Festlegung minimaler Maschenweiten, maximal zulässige Menge von juvenilen Fischen als Beifang, Echtzeitschließungen, Gebietsbeschränkungen und saisonale Schließungen reguliert. Seit Januar 2011 sind die technischen Regularien von Norwegen und Russland aufeinander abgestimmt. Eine Fischereikontrolle erfolgt durch Inspektionen auf See und generell bei allen Anlandungen, sowie durch Logbücher und tägliche Meldungen an die zuständigen Behörden. [81] [938] [941] [942]

 

Differenz zwischen Wissen­schaft und Management

Zwischen 2004 und 2010 wurde die Fangmenge nur 2005 und 2006 im Einklang mit der wissenschaftlichen Empfehlung festgesetzt. 2007 konnte aufgrund der ±10 %-Klausel im Managementplan die Fangmenge nicht den Empfehlungen entsprechend gesenkt werden, wurde aber für 2009 über die 10% hinaus erhöht. Aufgrund einer Modifizierung des Managementplanes (siehe unter „Wer und Wie“) konnte der TAC 2010 auch im Einklang mit dem Plan um mehr als 10% erhöht werden. 2011 und 2012 stimmten wissenschaftliche Empfehlung und Höchstfangmenge überein. Der TAC für 2013 wurde über den Empfehlungen festgelegt, lag aber im Rahmen einer Nutzung nach MSY. 2014 und 2015 entsprach der TAC wieder der wissenschaftlichen (Managementplan-basierten) Empfehlung. Für 2016 wurde der wissenschaftlichen Empfehlung, den TAC zu reduzieren, nicht gefolgt, wegen des derzeit niedrigen Loddenbestands und damit unzureichender Nahrung. Die Wissenschaft empfiehlt die Beifänge von Goldbarsch (Sebastes norvegicus) und norwegischem Küstenkabeljau möglichst gering zu halten, da beide Bestände in schlechtem Zustand sind. [938] [942]

 

Karten

Verbreitungsgebiet

Managementgebiet

Nordost-Arktischer Kabeljau ist im Barentsmeer und den umgebenden Gewässern verbreitet, hauptsächlich bei Temperaturen über 0 Grad. Verbreitungs- und Managementgebiete decken sich, allerdings gibt es nationale Regelungen der Küstenstaaten und Sonderregelungen in internationalen Gewässern. [938] [942]

 

Anlandungen und TACs (in 1.000 t)

Gesamtfang2015: Anlandungen: 864,4; davon Grundschleppnetze 70%, andere Geräte 30%
TACs (inkl. Küsten-Kabeljau)2007: 424   2008: 430  2009: 525  2010: 607  2011: 703  
2012: 751  2013: 1.000  2014: 993  2015: 894  2016: 894  
[938] [941] [942]

IUU-Fischerei

Illegale Fänge waren jahrelang ein erhebliches Problem: Bis zu 25% (über 100.000 t jährlich) wurden zusätzlich zu den legalen TACs entnommen. Bessere Kontrollen (auch bei Umladung auf See) und Vereinbarungen zwischen Russland und Norwegen haben seit 2007 die IUU-Fischerei stark reduziert. Seit 2009 liegen die Anlandungen nah an den offiziell gemeldeten Fängen (weniger als 1% Abweichung, für 2014: 0%). [938] [942]

 

Struktur und Fangmethode

Der Nordost-Arktische Kabeljau wird vor allem von großen Fabrikschiffen/Vollfrostern in einer gemischten Fischerei mit Grundschleppnetzen gefangen, von der auch Schellfisch, Seelachs und Seewolf angelandet werden. Zusätzlich wird er küstenfern und küstennah mit Handleinen und Angelleinen, Langleinen, Kiemennetzen und Snurrewaden von kleineren Fahrzeugen gefangen. Wichtigste Fangnationen sind mit Abstand Norwegen und Russland, aber auch isländische, färöische und EU-Fahrzeuge haben Fangrechte. [39] [938] [942]

 

Beifänge und Rückwürfe

Rückwürfe von quotierten Arten wie Kabeljau, Schellfisch, Seelachs und Rotbarsch sind sowohl in Norwegen als auch in Russland verboten, kommen aber zu bestimmten Zeiten auch in größerem Maße vor. An einer Quantifizierung dieser Rückwürfe wird zurzeit intensiv gearbeitet, sie gehen noch nicht in die Bestandsberechnung ein. Es wird angenommen, dass Rückwürfe n den letzten Jahren bei unter 5 % liegen. Wenn zu viele untermaßige Fische (Kabeljau, Seelachs und Schellfisch summiert mehr als 15%) in den Fängen vorkommen, werden einzelne Gebiete zeitnah vorübergehend für die Fischerei geschlossen. Einige Gebiete sind zum Schutz von jungen Schellfischen und Kabeljau ganzjährig geschlossen. Selektivere Fanggeräte haben den Fang und Rückwurf von Jungfischen seit 1997 reduziert. Mögliche Beifänge sind in dieser Fischerei Rotbarsche und norwegischer Küsten-Kabeljau. Der Beifang von Goldbarsch (Sebastes norvegicus) in dieser Fischerei macht derzeit einen beträchtlichen Anteil des Gesamtfanges dieser Art aus und liegt weit über einem nachhaltigem Niveau. [39] [938] [942]

 

Einflüsse der Fischerei auf die Umwelt

Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen können Bodenlebensgemeinschaften geschädigt werden. Sie fangen neben den Zielarten auch Arten, die nicht kommerziell genutzt werden und deren Entnahme einen Einfluss auf das Ökosystem haben kann. Auf sandigem Boden konnten allerdings keine großen Veränderungen festgestellt werden. In der Nordost-Arktis können Grundschleppnetze vor allem einen negativen Effekt auf empfindliche Bodenlebewesen-Gemeinschaften haben, die auf Hartsubstrat vorkommen. Besonders empfindlich sind Schwämme und Kaltwasser-Korallen. Die Kartierung der Kaltwasser-Riffe schreitet stetig voran, auch Fischer versuchen den Kontakt mit Riffen zu vermeiden, um ihr Gerät zu schonen. In einigen Gebieten ist zum Schutz dieser Riffe der Einsatz von Grundschleppnetzen verboten. Verlorengegangene Geräte wie Kiemennetze können für eine gewisse Zeit weiterfischen (ghost fishing). Der Einfluss des „ghost fishing“ ist jedoch noch nicht quantifiziert worden. [7] [8] [30] [83] [149] [507]

 

Biologische Besonder­heiten

Der nordostarktische Kabeljau kann bis 170 cm lang und 55 kg schwer werden. Erwachsene Tiere unternehmen jährlich eine Laichwanderung in bestimmte Laichgebiete an der norwegischen Westküste. Das Laichen findet im Freiwasser, vor allem im Gebiet um die Lofoten und Vesterålen, zwischen Februar und April statt. Der Kabeljau ist die wichtigste räuberische Fischart in der Barentsmeer und ernährt sich von größerem Zooplankton, Jungfischen (z.B. Lodde, Hering und Schellfisch) und Garnelen. [37] [39] [53] [938] [942]

 

Zusätzliche Informationen

Der während der Laichzeit bei den Lofoten gefischte Kabeljau wird auch „Skrei“ genannt, was so viel wie „Wanderer“ bedeutet. Der „Skrei“ ist durch sein besonders feines und weißes Fleisch als Speisefisch sehr beliebt. Ein zunehmender Anteil von Fängen aus diesem Bestand wird auf See gefroren, umgeladen und zur Filetierung nach Fernost (v.a. China) transportiert.
Potentiell problematisch ist der Fang von Kabeljau an der norwegischen Küste, wo er sich mit dem „Küsten-Kabeljau“, der sich in schlechtem Zustand befindet, mischen kann. Durch das im Verhältnis sehr große Angebot von Ware aus diesem Bestand bestimmt die Verfügbarkeit von nordost-arktischem Kabeljau maßgeblich den Weltmarktpreis für Kabeljauprodukte. Die starke Zunahme der Fänge führte daher zu geringeren Erlösen auch z.B. in der Ostseedorsch-Fischerei; eine Abnahme der Fangmengen könnte die Erholung der Erzeugererlöse bewirken. [2] [14] [37] [39] [938] [942]

Soziale Aspekte

Die Fahrzeuge in der Norwegischen See und im Barentsmeer fahren unter norwegischer, russischer, färöischer, isländischer oder EU-Flagge, die Arbeitsbedingungen an Bord und die Entlohnung erfolgt daher nach den (sehr unterschiedlichen) Regeln dieser Staaten. [13] [39]

 

AutorJahrTitelQuelle
[2]Muus BJ, Nielsen JG1999Die Meeresfische Europas Franckh-Kosmos Verlag
[4]Marine Stewardship Council (MSC)Fisch und Meeresfrüchte aus zertifiziert nachhaltiger Fischereimsc.org
[7]Kaiser MJ, Ramsay K, Ramsay K, Richardson CA, Spence FE, Brand AR2000Chronic fishing disturbance has changed shelf sea benthic community structure Journal of Animal Ecology 69:494-503
[8]Hiddink JG, Jennings S, Kaiser MJ, Queirós AM, Duplisea DE, Piet GJ2006Cumulative impacts of seabed trawl disturbance on benthic biomass, production, and species richness in different habitats Canadian Journal of Fisheries and Aquatic Sciences 63:721-736
[13]Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Homepageble.de
[14]Fisch-Informationszentrum e.V. (FIZ)Fisch-Informationszentrum e.V. Homepagefischinfo.de
[30]Food and Agriculture Organization (FAO)FAO. © 2003-2010. Fisheries Topics: Technology. Fish capture technology. In: FAO Fisheries and Aquaculture Department [online]. Rome. Updated 2006 15 09.[Cited 10 June 2010]fao.org
[37]Havforskningsinstituttet, NorwegenOnline Portal des Havforskningsinstituttet (Institut für Meeresforschung), Norwegenimr.no
[39]Fischereiverwaltung, NorwegenOnline Portal des Fiskeridirektoratet (Fischereiverwaltung), Norwegenfiskeridir.no
[53]Drinkwater KF2005The response of Atlantic cod (Gadus morhua) to future climate change ICES Journal of Marine Science 62:1327-1337
[81]Ministerium für Handel, Industrie und Fischerei, NorwegenOnline Portal des Nærings- og fiskeridepartementet (Ministerium für Handel, Industrie und Fischerei), Norwegenregjeringen.no
[83]Fossa JH, Mortensen PB, Furevik DM2002The deep-water coral Lophelia pertusa in Norwegian waters: distribution and fishery impacts Hydrobiologia 471:1-12
[149]MAREANO: The Sea in Maps and PicturesMareano Homepage: Vulnerable biotope mapsmareano.no
[507]ICES2009Report of the Advisory Committee 2009, Book 3. The Barents Sea and the Norwegian Sea. Human impacts on the ecosystemices.dk
[938]ICES2016Report of the Advisory Committee, 2016. Book 3, Barents Sea and Norwegian Sea Ecoregions, 3.3.2 Cod (Gadus morhua) in subareas 1 and 2 (Northeast Arctic)ices.dk
[941]Ministry of Fisheries and Coastal Affairs, Norwegen2015Abkommen über die norwegisch-russischen Quotenvereinbarung für das Jahr 2016: Enighet om norsk-russisk kvoteavtale for 2016, Pressemelding, Dato: 09.10.2015 (auf Norwegisch)regjeringen.no
[942]ICES2016Report of the Arctic Fisheries Working Group (AFWG), Dates 19-25 April 2016, ICES HQ, Copenhagen, Denmark. ICES CM 2016/ACOM:06. 621 pp.ices.dk