Bestandsdatenblatt

Dorsch westliche Ostsee

Gültig 05/2010 - 05/2011

Allgemeine Informationen


Ökoregion:Ostsee
Fanggebiet:westliche Ostsee (22-24) FAO 27
Art:Gadus morhua

Wissenschaftliche Begutachtung

Internationaler Rat für Meeresforschung (ICES), Kopenhagen, www.ices.dk

 

Methode, Frequenz

Jährliche analytische Bestandsberechnung mit Vorhersage unter Verwendung von Fangdaten und drei unabhängigen wissenschaftlichen Surveys, die alle Altersgruppen ab Alter 1 abdecken. Wechsel des Berechnungsmodells 2009. Nur einer von vier Referenzwerten nach dem Vorsorgeansatz ist definiert (Bpa), basierend auf einem historischen Wert. Schwache Beziehung zwischen Laicherbiomasse und Nachwuchs. Ein Vorschlag für Fischereiliche Sterblichkeit und Biomasse nach dem Konzept des höchsten Dauerertrages (Fmsy, Btrigger) wurde 2010 vorgelegt. [89]

 

Wesentliche Punkte

2010: Das neue Berechnungsmodell lässt den Zustand des Bestandes insgesamt positiver erscheinen, die Biomasse ist nun wieder im grünen Bereich. Der 2008er Jahrgang erscheint weiter stark, so dass die Aussichten besser sind. Der Managementplan hat jedoch auch im zweiten Jahr nach der Implementierung die fischereiliche Sterblichkeit nicht wie vorgesehen senken können, sie ist weiter viel zu hoch.

 

Bestands­zustand

Laicherbiomasse (Reproduktionskapazität)

  volle Reproduktionskapazität (nach Vorsorgeansatz)

  Referenzwerte nicht definiert (nach Managementplan)

  innerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach höchstem Dauerertrag)

 

Fischereiliche Sterblichkeit

  Referenzwerte nicht definiert (nach Vorsorgeansatz)

  außerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach Managementplan)

  übernutzt (nach höchstem Dauerertrag)

 

Bestands­entwicklung

Wie die meisten marinen Fischbestände in der Ostsee ist auch dieser stark von günstigen Umweltbedingungen abhängig. Die Nachwuchsproduktion ist sehr variabel, gleichzeitig war die fischereiliche Sterblichkeit in den letzten 20 Jahren ununterbrochen hoch. In der Folge schwankte die Laicherbiomasse seit Anfang der 1990er Jahre um den Vorsorgeansatz-Referenzwert und liegt zurzeit knapp darüber. Seit 2008 ist ein Managementplan implementiert, der die fischereiliche Sterblichkeit jährlich um 10% senken soll, bis ein Zielreferenzwert erreicht ist. Dieser Plan hat sein Ziel bisher nicht erreicht. [89] [90] [92]

 

Ausblick

Wegen des stärkeren 2008er Jahrgangs bestehen gute Chancen, dass sich der Bestand schnell erholt. Da der Managementplan sein Ziel (die deutliche Reduzierung der fischereilichen Sterblichkeit) bislang nicht erreicht hat, ist aber zu erwarten, dass die Schonmaßnahmen im Rahmen der Revision dieses Plans ab 2012 verstärkt werden.

 

Umwelt­einflüsse auf den Bestand

Anders als in den meisten anderen Meeresgebieten sind die marinen Fischbestände im Brackwassermeer Ostsee stark von den Umweltbedingungen abhängig. Insbesondere für die erfolgreiche Nachwuchsproduktion (Reproduktion) benötigen die Meeresfische salz- und sauerstoffreiches Wasser, das aus der Nordsee in die westliche Ostsee einströmen muss. Sauerstoffarmut in Bodennähe, z.B. durch Nährstoffeinträge in die Ostsee befördert, ist für die Dorschreproduktion besonders nachteilig. Sie beeinflusst auch die Verbreitung des Bestandes. In der Regel sind nach Einstromereignissen aus der Nordsee unmittelbar stärkere Nachwuchsjahrgänge festzustellen, so wie zuletzt in den Jahren 2003 und 2008. Die Einstromereignisse sind in den letzten Jahrzehnten immer seltener geworden, was die Fischereimöglichkeiten reduziert. [93] [94]

 

Wer und Wie

Das Management der kommerziellen Fischerei erfolgt nur durch die Europäische Union. Ein Managementplan ist seit 2008 in Kraft. Er sieht die jährliche Reduzierung der fischereilichen Sterblichkeit um 10% bis zum Erreichen einer Ziel-Sterblichkeit (F) von 0,6 vor, insbesondere durch die Reduzierung der Fangtage. Dieser Plan wurde vom ICES 2009 als positiv bewertet (in Übereinstimmung mit dem Vorsorgeansatz, wenn F wie vorgesehen reduziert wird) und ist Basis für Fangempfehlung und Festsetzung der TACs. Weitere Managementinstrumente sind Verordnungen zu Maschenweiten und Selektionseinrichtungen der Netze (z.B. Bacoma), Mindestanlandelängen (MLS) sowie die Einrichtung von Laichschonzeiten (2009: April). Die Freizeitfischerei ist (bis auf Fangerlaubnisse in Mecklenburg-Vorpommern und MLS) nicht reguliert, obwohl jüngere Untersuchungen gezeigt haben, dass sie erhebliche und variable Mengen an westlichem Dorsch entnimmt. [89] [92]

Differenz zwischen Wissen­schaft und Management

2005-2008 wurde die legale Höchstfangmenge teilweise erheblich oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlung festgesetzt. Seit 2009 stimmen implementierte TACS und Fangempfehlung überein. [89] [91]

 

Karten

Verbreitungsgebiet

Managementgebiet

Verbreitungs- und Managementgebiet decken sich seit 2004, zuvor wurde eine gemeinsame Höchstfangmenge für beide Dorschbestände festgesetzt. Westlicher und östlicher Dorsch vermischen sich zu unbekannten Anteilen, vor allem in der Arkonasee (östlicher Teil von SD 24). [89]

 

Anlandungen und TACs (in 1.000 t)

Gesamtfang2009: 16,2 Gesamtfang (15,3 Anlandungen plus 0,9 Rückwürfe); davon Grundschleppnetze 70%, Kiemennetze 30%, Langleinen weniger als 1%
TACs 2007: 26,7  2008: 19,2  2009: 16,3  2010: 17,7 [89] [91]

IUU-Fischerei

In der westlichen Ostsee werden nicht- und falschberichtete Fänge seit 1995 nicht mehr als wesentliches Problem angesehen, sie liegen unter 10% der Anlandungen. 2006-2008 gab es Hinweise, dass Fänge im Kattegat illegal als aus der westlichen Ostsee gefischt berichtet wurden, was den Bestand produktiver erscheinen lassen könnte. Dieses Schlupfloch wurde ab 2009 geschlossen. [90]

 

Struktur und Fangmethode

Alle Ostsee-Anrainerstaaten unterhalten gerichtete Fischereien. Dorsch wird mit unterschiedlichen Methoden (z.B. Stellnetze, Grundschleppnetze, Langleinen) für die menschliche Ernährung gefangen. Treibnetze und Baumkurren dürfen in der Ostsee nicht eingesetzt werden. Wegen der wenigen Zielarten ist die Fischerei in der Ostsee eher einfach strukturiert.

 

Beifänge und Rückwürfe

Unerwünschte Beifänge von Dorsch in Fischereien mit anderen Zielarten sind selten, weil es kaum gemischte Fischereien mit anderen Zielarten gibt. Allerdings können in der Schleppnetzfischerei variable Mengen von Plattfischen (vor allem Flunder) und in den Stellnetzfischereien zu bestimmten Jahreszeiten Seevögel und Meeressäuger beigefangen werden. Rückwürfe sind derzeit kein großes Problem (2-6% vor allem untermaßige Dorsche), in Jahren, in denen starke Nachwuchsjahrgänge in die Fischerei einwachsen, können diese Anteile aber auf über 10% (nach Gewicht) bzw. 30% (nach Anzahlen) steigen, wie für 2010 bei unveränderter Fischerei vorhergesagt. Es gab in den letzten Jahren keine Hinweise auf "highgrading", also das Verwerfen legal anlandbarer Fische. Die EU hat diese Praxis wie schon in der Nordsee seit Anfang 2010 verboten. [89] [49] [90]

 

Einflüsse der Fischerei auf die Umwelt

Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen kann der Meeresboden geschädigt werden. In Stellnetzfischereien treten – abhängig von Ort und Jahreszeit – teilweise erhebliche Beifänge von Seevögeln auf. Auch marine Säuger können in Teilen der Ostsee beigefangen werden, hier insbesondere Schweinswale in SD 22. [30] [97]

 

Biologische Besonder­heiten

Ostseedorsch kann über 20 Jahre alt werden. Der Dorsch laicht in den tiefen Bereichen der westlichen Ostsee im Frühjahr und damit deutlich früher als der viel größere benachbarte Bestand der östlichen Ostsee. Ab Altersklasse 2 sind knapp die Hälfte, ab 4 über zwei Drittel der Tiere geschlechtsreif.
Der kleine, aber produktive Bestand der westlichen Ostsee ist von den Veränderungen der Umweltbedingungen in den letzten 20 Jahren (regime shift) und den daraus und aus zu starker Befischung resultierenden Veränderungen im Räuber-Beute-Gefüge (Dorsch-Sprott-Schaukel) weniger betroffen als der östliche Bestand. Trotzdem treten starke Nachwuchsjahrgänge insbesondere nach Salzwasser-Einstromereignissen aus der Nordsee auf, die in den letzten Jahrzehnten immer seltener wurden. Die Entnahme durch den Menschen muss an die variablen und vom Menschen nicht beeinflussbaren Bedingungen angepasst werden. [93] [94]

Zusätzliche Informationen

Dorsch ist für die Ostseefischerei von herausragender Bedeutung, der Wiederaufbau der Bestände ist daher vorrangiges Ziel des Fischereimanagements. Erhebliche wirtschaftliche Probleme hat der starke Rückgang der Erzeugerpreise für frischen Dorsch im Jahr 2009 (um 50-75%) verursacht. Hierfür ist offenbar das große Angebot an Kabeljau auf dem Weltmarkt verantwortlich.
Die Fischerei fängt überwiegend nachwachsende Jahrgänge: Der größte Teil der Fänge besteht derzeit aus 2-4 Jahre alten Fischen. Die Altersstruktur des Bestandes ist nicht ausgewogen, und die Fischerei ist damit sehr abhängig von der Stärke der Nachwuchsjahrgänge.
Die Bestandsberechnung weist Unsicherheiten von 10-25% auf, möglicherweise zu großen Teilen verursacht durch die nicht in die Berechnung eingeschlossene, aber erhebliche und variable Entnahme durch Angler, aber auch wegen wissenschaftlicher Probleme (insbesondere bei der Altersbestimmung). [14] [89] [90]

 

Zertifizierte Fischereien

Bislang ist keine Dorschfischerei in der westlichen Ostsee nach einem der gängigen Nachhaltigkeitsstandards zertifiziert.

 

Soziale Aspekte

Die Dorschfischerei in der westlichen Ostsee wird überwiegend mit kleinen und kleinsten Fahrzeugen durchgeführt. Diese Fischereibetriebe haben erhebliche Bedeutung für die strukturschwachen Gebiete an den Küsten der Anrainerstaaten. Die Fahrzeuge fahren unter EU-Flaggen, die Arbeitsbedingungen an Bord und die Entlohnung erfolgt daher nach EU-Regeln. [13]

 

AutorJahrTitelQuelle
[13]Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Homepageble.de
[14]Fisch-Informationszentrum e.V. (FIZ)Fisch-Informationszentrum e.V. Homepagefischinfo.de
[30]Food and Agriculture Organization (FAO)FAO. © 2003-2010. Fisheries Topics: Technology. Fish capture technology. In: FAO Fisheries and Aquaculture Department [online]. Rome. Updated 2006 15 09.[Cited 10 June 2010]fao.org
[49]Europäische Union (EU)2009Verordnung (EG) Nr. 1288/2009 des Rates zur Festlegung technischer Übergangsmaßnahmen für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 30. Juni 2011europa.eu
[89]ICES2010Report of the Advisory Committee, 2010. Book 8.The Baltic Sea. 8.4.1. Cod in Subdivision 22-24ices.dk
[90]ICES2010Report of the Baltic Fisheries Assessment Working Group (WGBFAS), 15-22 April 2010, ICES Headquarters, Copenhagen . 621 pp. 2.3. Cod in Subdivisions 22-24ices.dk
[91]Europäische Union (EU)2009Verordnung (EG) Nr. 1226/2009 des Rates zur Festsetzung der Fangmöglichkeiten und begleitenden Fangbedingungen für bestimmte Fischbestände und Bestandsgruppen in der Ostsee (2010)europa.eu
[92]Europäische Union (EU)2007Verordnung (EG) Nr. 1098/2007 des Rates zur Festlegung eines Mehrjahresplans für die Dorschbestände der Ostsee und für die Fischereien, die diese Bestände befischen, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2847/93 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 779/97europa.eu
[93]Möllmann C, Kornilovs G, Fetter M, Köster FW2005Climate, zooplankton, and pelagic fish growth in the central Baltic Sea ICES Journal of Marine Science 62: 1270-1280
[94]ICES2010Report of the ICES/HELCOM Working Group on Integrated Assessments of the Baltic Sea (WGIAB), 19–23 April 2010, ICES Headquarters, Copenhagen, Denmark. ICES CM 2010/SSGRSP:02. 94 pp.ices.dk
[97]Zydelis R, Bellebaum J, Österblom H, Vetemaa M, Schirmeister B, Stipniece A, Dagys M, van Eerden M, Garthe S2009Bycatch in gillnet fisheries – An overlooked threat to waterbird populations Biological Conservation 142:1269–1281