Bestandsdatenblatt

Dorsch westliche Ostsee

Gültig 05/2014 - 05/2015

Allgemeine Informationen


Ökoregion:Ostsee
Fanggebiet:westliche Ostsee (22-24) FAO 27
Art:Gadus morhua

Wissenschaftliche Begutachtung

Internationaler Rat für Meeresforschung (ICES), Kopenhagen, www.ices.dk

 

Methode, Frequenz

Jährliche analytische Bestandsberechnung mit Vorhersage unter Verwendung von Fangdaten aus der kommerziellen und der Freizeitfischerei und zwei unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsreisen. Die Referenzwerte nach dem Konzept zur Erlangung des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages sind definiert (Fmsy, Btrigger). Nach dem Vorsorgeansatz sind zwei Referenzwerte für die Biomasse festgelegt (Bpa, Blim). Die Bestandsberechnung ist eher unsicher, Ursachen sind vor allem die zunehmende Einwanderung von östlichem Dorsch in ICES-Gebiet 24 und Probleme bei der Alterslesung. Rückwürfe gehen in die Bestandsberechnung ein. [734] [736]

 

Wesentliche Punkte

2014: Die Laicherbiomasse erscheint nun geringer als im letzten Jahr angenommen und liegt seit 2013 wieder im gelben Bereich (unter dem MSY- aber noch über dem Limit-Referenzwert). Der ICES betrachtet den gültigen Managementplan nicht mehr als geeignet, um die viel zu hohe fischereiliche Sterblichkeit ausreichend zu reduzieren. Die Fangempfehlung für 2015 basiert daher nicht mehr auf dem Managementplan (max. ±15% Änderung des TAC) sondern auf dem Konzept zur Erlangung des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (MSY), was eine deutlich höhere Reduzierung erfordert. [734]

 

Bestands­zustand

Laicherbiomasse (Reproduktionskapazität)

  erhöhtes Risiko (nach Vorsorgeansatz)

  Referenzwerte nicht definiert (nach Managementplan)

  außerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach höchstem Dauerertrag)

 

Fischereiliche Sterblichkeit

  Referenzwerte nicht definiert (nach Vorsorgeansatz)

  außerhalb der Schwankungsbreite um den Zielwert (nach Managementplan)

  übernutzt (nach höchstem Dauerertrag)

 

Die Grafik zur fischereilichen Sterblichkeit (F) zeigt F in der Altersgruppe 3-5 mit dem Referenzwert nach dem Konzept zur Erlangung des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (Fmsy). Außerdem ist der Referenzwert des Managementplanes (Fmgmt), der sich auf die Altersgruppe 3-6 bezieht, und das derzeitige F dieser Altersgruppe dargestellt.

 

Bestands­entwicklung

Wie die meisten marinen Fischbestände in der Ostsee ist auch dieser stark von den Umweltbedingungen abhängig. Die Nachwuchsproduktion ist sehr variabel, gleichzeitig war die fischereiliche Sterblichkeit (F) in den letzten 20 Jahren ununterbrochen zu hoch. Die Laicherbiomasse ist seit dem Jahr 2000 relativ stabil, lag aber meistens unter dem Referenzwert zur Erlangung des höchstmöglichen nachhaltigen Dauerertrages (MSY). Seit 2008 ist ein Managementplan in Kraft, der einen Zielreferenzwert für die fischereiliche Sterblichkeit von 0,6 vorgibt. Obwohl dieser Zielwert viel höher ist als der MSY-Referenzwert, wurde er nach jetziger Wahrnehmung der Bestandsentwicklung noch nicht erreicht. Die Nachwuchsproduktion liegt seit 2004 unter dem Langzeitmittel, auch wenn die zwei letzten Jahrgänge etwas größer zu sein scheinen. [92] [734] [736]

 

Ausblick

Der Managementplan hat sein Ziel (deutliche Reduzierung der fischereilichen Sterblichkeit) bisher nicht erreicht, zudem liegt der Zielwert viel zu hoch. Die Fangmengen müssen daher deutlich reduziert werden. Wenn die EU am derzeit gültigen Managementplan festhält, beschränkt das Stabilitätselement die Reduzierung auf maximal 15% des Vorjahres-TACs. [92] [734]

 

Umwelt­einflüsse auf den Bestand

Anders als in den meisten anderen Meeresgebieten sind die marinen Fischbestände im Brackwassermeer Ostsee stark von den Umweltbedingungen abhängig. Insbesondere für die erfolgreiche Nachwuchsproduktion (Reproduktion) benötigen die Dorsche salz- und sauerstoffreiches Wasser, das aus der Nordsee in die westliche Ostsee einströmen muss. Sauerstoffarmut in Bodennähe, z.B. durch natürliche oder durch den Menschen erzeugte Nährstoffeinträge in die Ostsee verursacht, ist für die Dorschreproduktion besonders nachteilig. Sie beeinflusst auch die Verbreitung des Bestandes. In der Regel sind nach Einstromereignissen aus der Nordsee unmittelbar stärkere Nachwuchsjahrgänge festzustellen, so wie zuletzt in den Jahren 2003 und 2008. Starke Einstromereignisse sind in den letzten Jahrzehnten immer seltener geworden, was die Fischereimöglichkeiten mittelfristig reduziert. [93] [94] [734] [736]

 

Wer und Wie

Das Management der kommerziellen Fischerei erfolgt durch die Europäische Union. Ein Managementplan ist seit 2008 in Kraft. Er sieht die jährliche Reduzierung der fischereilichen Sterblichkeit um 10% bis zum Erreichen einer bestimmten Ziel-Sterblichkeit vor, insbesondere durch die Reduzierung der Fangtage. Dieser Plan wurde vom ICES 2009 als positiv bewertet (in Übereinstimmung mit dem Vorsorgeansatz), die Implementierungsphase (also bis die Zielsterblichkeit erreicht ist) wird nun aber nicht mehr als vorsorglich betrachtet. Der Plan ist daher nicht mehr Basis der Fangempfehlung. Der Zielwert des Managementplanes liegt weit über dem Referenzwert für die fischereiliche Sterblichkeit nach dem Konzept des höchsten Dauerertrags (MSY), und der ICES empfahl bereits 2011 eine Überarbeitung des Plans und Reduzierung der Zielsterblichkeit. Ein überarbeiteter Plan konnte jedoch wegen eines inter-institutionellen Streits in der EU nicht beschlossen werden: Parlament und Rat können sich nicht einigen, wer die Änderung beschließen muss. Eine Einigung zeichnet sich nun aber ab. Weitere Managementinstrumente sind Verordnungen zu Maschenweiten und Selektionseinrichtungen der Netze (z.B. Bacoma), Mindestanlandelängen (MLS, nur noch bis 31.12.2014) sowie die Einrichtung von Laichschonzeiten (seit 2009 im April). Die Freizeitfischerei, überwiegend durch Angler durchgeführt, ist (bis auf MLS) nicht reguliert, obwohl jüngere Untersuchungen gezeigt haben, dass sie erhebliche und variable Mengen an westlichem Dorsch entnimmt. [92] [734] [736]

 

Differenz zwischen Wissen­schaft und Management

Der ICES betrachtet den Managementplan (bzw. seine Implementierungsphase) nicht mehr als vorsorglich und als ungeeignet, die zu hohe fischereiliche Sterblichkeit zu reduzieren. Die Fangempfehlung für 2015 erfolgt daher auf Basis des MSY-Konzeptes. Wenn die EU bei der Festlegung der Fangmengen dem Managementplan folgt, wird es 2015 zu einer hohen Differenz zwischen wissenschaftlicher Empfehlung und Managemententscheidung kommen. 2005-2009 wurde die legale Höchstfangmenge (TAC) teilweise erheblich oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlung festgesetzt. 2010 bis 2014 stimmen Fangempfehlung und festgesetzte TACs überein. Seit 2004 (Aufteilung der Managementgebiete beider Dorschbestände) wurde die erlaubte Fangmenge nur 2008 ausgefischt (2013: 65% Ausfischung). Die dringend erforderliche Anpassung des Managementplanes (insbesondere der Zielsterblichkeit) wurde bislang nicht vorgenommen, der Bestand kann damit weiterhin nicht nach dem MSY-Ansatz bewirtschaftet werden. Die Wissenschaft empfiehlt Maßnahmen zum Schutz der laichenden Tiere in ICES-Gebiet 22. [734] [736]

 

Karten

Verbreitungsgebiet

Managementgebiet

Verbreitungs- und Managementgebiet decken sich seit 2004, zuvor wurde eine gemeinsame Höchstfangmenge für beide Dorschbestände festgesetzt. Die Trennung der Bestände wurde durch genetische Studien bestätigt, sie sind u.a. durch unterschiedliche Laichgebiete und -zeiten voneinander separiert. Westlicher und östlicher Dorsch vermischen sich zu unbekannten Anteilen, vor allem in der Arkonasee (östlicher Teil von ICES-Gebiet 24). [734] [736]

 

Anlandungen und TACs (in 1.000 t)

Gesamtfang2013: 17,5 (13,0 kommerzielle Anlandungen – Schleppnetze 60%, Kiemennetze 40%, 2,3 Rückwürfe, 2,3 Freizeitfischerei)
TACs 2007: 26,7  2008: 19,2  2009: 16,3  2010: 17,7  2011: 18,8  
2012: 21,3  2013: 20,0  2014: 17,0 [733] [734] [736]

IUU-Fischerei

In der westlichen Ostsee werden nicht- und falschberichtete Fänge nicht mehr als wesentliches Problem angesehen. 2006-2008 gab es Hinweise, dass Fänge im Kattegat illegal als aus der westlichen Ostsee gefischt berichtet wurden, was den Bestand produktiver erscheinen lassen könnte. Dieses Schlupfloch wurde ab 2009 geschlossen. [734] [736]

 

Struktur und Fangmethode

Alle Ostsee-Anrainerstaaten unterhalten gerichtete Fischereien. Der Dorsch der westlichen Ostsee wird überwiegend in einer gemischten Grundfisch-Fischerei gemeinsam mit verschiedenen Plattfischen gefangen. Er wird hauptsächlich mit Grundschleppnetzen für die menschliche Ernährung gefischt, außerdem werden z.B. Stellnetze verwendet. Treibnetze und Baumkurren dürfen in der Ostsee nicht eingesetzt werden. Wegen der wenigen Zielarten ist die Fischerei in der Ostsee eher einfach strukturiert. [206] [734]

 

Beifänge und Rückwürfe

2013 betrug der Rückwurf von Dorsch etwa 15% des Gesamtfanges (bezogen aufs Gewicht). Dies ist eine Steigerung im Vergleich zu den Vorjahren. Laut Berichten aus der Fischindustrie führen die wachsenden Plattfisch-Bestände in dieser Fischerei teilweise zu einer reduzierten Selektivität der Schleppnetze (z.B. zum Verstopfen von Fluchtfenstern). Der Rückwurf von Plattfischen und untermassigen Dorschen ist dadurch möglicherweise 2011 und 2012 gestiegen. Auch die Erhöhung der minimalen Anlandelänge von 35 auf 38 cm im Jahr 2003 hat zu einer Zunahme des Rückwurfes geführt. Das Verwerfen legal anlandbarer Fische, um den Fangertrag zu optimieren ("Highgrading") ist selten und daher ohne Einfluss auf den Bestand bzw. die Bestandsberechnung. Es ist seit 2010 auch in der Ostsee verboten. [631] [734] [736] [737]

 

Einflüsse der Fischerei auf die Umwelt

Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen können Bodenlebensgemeinschaften geschädigt werden. Artenzusammensetzung, Biomasse und Nahrungsgefüge können sich erheblich verändern. In ICES-Gebiet 23 (Öresund) ist der Einsatz von Schleppnetzen aufgrund des hohen Schiffverkehrs fast gänzlich verboten. In Stellnetzfischereien (Kiemennetze) treten – abhängig von Ort und Jahreszeit – teilweise erhebliche Beifänge von Seevögeln auf. Auch Meeresäuger können in Teilen der Ostsee in Stellnetzen beigefangen werden, hier insbesondere Schweinswale. Für die sehr kleine Schweinswalpopulation östlich der Darßer Schwelle (Gebiete 24-32) könnte der Einfluss dieser Fischerei trotz der in absoluten Zahlen geringen Beifangmenge erheblich sein. [30] [97] [208]

 

Biologische Besonder­heiten

Ostseedorsch kann über 20 Jahre alt werden. Dieser Bestand laicht in den tiefen Bereichen der westlichen Ostsee. In ICES-Gebiet 22 ist Hauptlaichsaison von Februar bis April, in Gebiet 24 hingegen von Juni bis Juli. In Gebiet 24 handelt es sich möglicherweise um eine Mischung von Tieren östlichen und westlichen Ursprunges.
Der kleine aber produktive Dorsch-Bestand der westlichen Ostsee ist von der abrupten Änderung der Umweltbedingungen Mitte der 1990er Jahre („regime shift“) und den daraus und aus zu starker Befischung resultierenden Veränderungen im Räuber-Beute-Gefüge (”Dorsch-Sprott-Schaukel”) weniger betroffen als der östliche Bestand. Trotzdem treten starke Nachwuchsjahrgänge insbesondere nach Salzwasser- Einstromereignissen aus der Nordsee auf, die in den letzten Jahrzehnten immer seltener wurden. Die Entnahme durch den Menschen muss an die variablen und vom Menschen nicht beeinflussbaren Bedingungen angepasst werden. [93] [94] [734]

Zusätzliche Informationen

Dorsch ist für die Ostseefischerei von herausragender Bedeutung, der Wiederaufbau der Bestände ist daher vorrangiges Ziel des Fischereimanagements. Erhebliche wirtschaftliche Probleme hat der starke Rückgang der Erzeugerpreise für Dorsch 2009 und 2010 (um 50-75%) verursacht. Hierfür ist offenbar das große Angebot an Kabeljau auf dem Weltmarkt verantwortlich. Die Anlandepreise haben sich zwischenzeitlich wieder etwas erholt, sind aber noch immer viel geringer als vor 2008. [13] [14]

 

Zertifizierte Fischereien

Bislang ist keine Dorschfischerei in der westlichen Ostsee nach einem der gängigen Nachhaltigkeitsstandards zertifiziert.

 

Soziale Aspekte

Die Dorschfischerei in der westlichen Ostsee wird überwiegend mit kleinsten bis mittelgroßen Fahrzeugen durchgeführt. Diese Fischereibetriebe haben erhebliche Bedeutung für die strukturschwachen Gebiete an den Küsten der Anrainerstaaten. Die Fahrzeuge fahren unter EU-Flaggen, die Arbeitsbedingungen an Bord und die Entlohnung erfolgt daher nach EU-Regeln. [13] [185] [734]

 

AutorJahrTitelQuelle
[13]Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Homepageble.de
[14]Fisch-Informationszentrum e.V. (FIZ)Fisch-Informationszentrum e.V. Homepagefischinfo.de
[30]Food and Agriculture Organization (FAO)FAO. © 2003-2010. Fisheries Topics: Technology. Fish capture technology. In: FAO Fisheries and Aquaculture Department [online]. Rome. Updated 2006 15 09.[Cited 10 June 2010]fao.org
[93]Möllmann C, Kornilovs G, Fetter M, Köster FW2005Climate, zooplankton, and pelagic fish growth in the central Baltic Sea ICES Journal of Marine Science 62: 1270-1280
[94]ICES2010Report of the ICES/HELCOM Working Group on Integrated Assessments of the Baltic Sea (WGIAB), 19–23 April 2010, ICES Headquarters, Copenhagen, Denmark. ICES CM 2010/SSGRSP:02. 94 pp.ices.dk
[97]Zydelis R, Bellebaum J, Österblom H, Vetemaa M, Schirmeister B, Stipniece A, Dagys M, van Eerden M, Garthe S2009Bycatch in gillnet fisheries – An overlooked threat to waterbird populations Biological Conservation 142:1269–1281
[185]Europäische KommissionEuropäische Kommission, Fischerei, Homepageeuropa.eu
[206]Europäische Union (EG)2005Verordnung (EG) Nr. 2187/2005 des Rates vom 21. Dezember 2005 mit technischen Maßnahmen für die Erhaltung der Fischereiressourcen in der Ostsee, den Belten und dem Öresund, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1434/98 und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 88/98europa.eu
[208]Bellebaum, J2011Untersuchung und Bewertung des Beifangs von Seevögeln durch die passive Meeresfischerei in der Ostsee. BfN-Skripten 295 Bundesamt für Naturschutz, ISBN 978-3-89624-030-9, www.bfn.de