Bestandsdatenblatt

Nordost-Arktischer Kabeljau

Gültig 06/2010 - 06/2011

Allgemeine Informationen


Ökoregion:Barentsmeer (Nordost-Arktis), Norwegische See
Fanggebiet:Nordost-Arktis und Norw. See (1, 2.ab) FAO 27
Art:Gadus morhua

Wissenschaftliche Begutachtung

Internationaler Rat für Meeresforschung (ICES), Kopenhagen, www.ices.dk

Methode, Frequenz

Jährliche analytische Bestandsberechnung mit Vorhersage unter Verwendung von Fangdaten und drei unabhängigen wissenschaftlichen Surveys, die Jungtiere und Erwachsene erfassen. Alle 4 Referenzwerte nach dem Vorsorgeansatz sind definiert, basierend auf der Beziehung zwischen Laicherbiomasse und Nachwuchs. [76]

 

Wesentliche Punkte

2010: Der Bestand wächst weiter stark an, die Biomasse hat 1 Mio t überschritten. Die fischereiliche Sterblichkeit konnte weiter gesenkt werden und ist nah am niedrigsten bisher erreichten Wert, auch durch die wirksame Bekämpfung der illegalen Fischerei. Das Management hat wegen des guten Bestandszustandes für 2010 die Höchstfangmengen wieder höher als nach dem Managementplan vorgesehen angesetzt. Die Nachwuchsproduktion ist noch immer unterdurchschnittlich. [76]

 

Bestands­zustand

Laicherbiomasse (Reproduktionskapazität)

  volle Reproduktionskapazität (nach Vorsorgeansatz)

 

  Referenzwerte nicht definiert (nach höchstem Dauerertrag)

 

Fischereiliche Sterblichkeit

  nachhaltig bewirtschaftet (nach Vorsorgeansatz)

  unter dem Grenzwert (nach Managementplan)

  Referenzwerte nicht definiert (nach höchstem Dauerertrag)

 

Bestands­entwicklung

Der Bestand nahm schon Ende der 1950er Jahre schnell ab, trotzdem blieben die Fänge hoch (über 700.000 t in vielen Jahren bis Ende der 1970er), und die fischereiliche Sterblichkeit nahm kontinuierlich zu. Zwischen 1965 und 1990 schwankte die Biomasse um den Limit-Referenzwert. Erst durch ein paar stärkere Jahrgänge, einen strikten Managementplan ab 2004 und die Bekämpfung der IUU-Fischerei gelang es, den Bestand wieder aufzubauen. Nordost-Arktischer Kabeljau ist nun weltweit der größte Kabeljaubestand, er liefert derzeit mehr Ertrag als alle anderen europäischen Kabeljau-/Dorschbestände zusammen. [76] [77]

 

Ausblick

Der Bestand ist in gutem Zustand. Dem Managementplan zu Folge kann die Höchstfangmenge (TAC) 2011 um weitere 16% auf 703.000 t angehoben werden, die fischereiliche Sterblichkeit bliebe unterhalb des Zielwertes von 0,3, und die Laicherbiomasse wird dann vermutlich bis Anfang 2012 auf fast 1,7 Mio t anwachsen können. Eine solche Biomasse ist seit Beginn der langen Zeitserie (1946) noch nicht beobachtet worden.

 

Umwelt­einflüsse auf den Bestand

Möglicherweise profitiert der Bestand von der Erwärmung des Lebensraumes, die zu einer Ausdehnung des Verbreitungsgebietes und für eine höhere Produktivität sorgen könnte. Dieser Bestand ist stark von der Verfügbarkeit kleiner Schwarmfische abhängig, vor allem von der Lodde (Mallotus villosus) und vom norwegischen frühjahrslaichenden Hering, dessen Bestand sich derzeit in ausgezeichnetem Zustand befindet. Starke natürliche Populationsschwankungen der Lodde beeinflussen das Wachstum, die Reife und die Fruchtbarkeit des Kabeljaus. Indirekt beeinflusst die Lodde auch die Rekrutierung des Kabeljaus: In Jahren mit niedrigem Vorkommen der Lodde ist der Kannibalismus beim Kabeljau sehr ausgeprägt. [76] [53]

 

Wer und Wie

Das Management erfolgt gemeinsam durch Norwegen und die Russische Föderation durch die "Joint Norwegian-Russian Fisheries Commission“ (JNRFC). 2004 wurde ein Management-Plan eingeführt, der einen Zielwert für die fischereiliche Sterblichkeit vorgibt (0,4) und Veränderungen der zulässigen Höchstfangmenge auf jährlich ±10% begrenzt. Der Plan wurde vom ICES als positiv bewertet (in Übereinstimmung mit dem Vorsorgeansatz) und ist Basis für Fangempfehlung und Festsetzung der Höchstfangmengen (TAC). Neben dem TAC wird diese Fischerei durch Mindestfanggrößen, Festlegung minimaler Maschenweiten, Sortiereinrichtungen, maximal zulässige Menge von juvenilen Fischen als Beifang, Echtzeitschließungen, Gebietsbeschränkungen und saisonale Schließungen reguliert. Die Bewertung des Managementplanes nach dem Konzept des höchsten Dauerertrages ist in Arbeit. [76] [81] [82]

 

Differenz zwischen Wissen­schaft und Management

In den letzten Jahren wurde die legale Höchstfangmenge mit Ausnahme der Jahre 2005 und 2006 deutlich oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlung festgesetzt. Seit 2008 weicht die norwegisch-russische Kommission sogar von ihrem eigenen Managementplan nach oben ab. [76]

 

Karten

Verbreitungsgebiet

Managementgebiet

Verbreitungs- und Managementgebiete decken sich, allerdings gibt es nationale Regelungen der Küstenstaaten und Sonderregelungen in internationalen Gewässern.

 

Anlandungen und TACs (in 1.000 t)

Gesamtfang2009: Anlandungen: 523; davon Grundschleppnetze 72%, andere Geräte 28%
TACs 2007: 424   2008: 430  2009: 525  2010: 607 [76] [82]

IUU-Fischerei

Illegale Fänge waren jahrelang ein erhebliches Problem: Bis zu 25% (über 100.000 t jährlich) wurden zusätzlich zu den legalen TACs entnommen. Bessere Kontrollen (auch bei Umladung auf See) und Vereinbarungen zwischen Russland und Norwegen haben seit 2007 die IUU-Fischerei stark reduziert. Für 2009 gingen die illegalen Fänge gegen Null. [39] [76] [81]

 

Struktur und Fangmethode

Der Kabeljau wird vor allem von großen Fabrikschiffen/Vollfrostern in einer gemischten Fischerei mit dem Grundschleppnetz gefangen, von der auch Schellfisch, Seelachs und Seewolf angelandet werden. Zusätzlich wird der Kabeljau küstennah mit Langleinen, Kiemennetzen und der Handleine von kleineren Fahrzeugen gefangen. Wichtigste Fangnationen sind mit Abstand Norwegen und Russland, aber auch EU-Fahrzeuge haben Fangrechte. [39] [81]

 

Beifänge und Rückwürfe

Rückwürfe von Kabeljau, Schellfisch und Seelachs sind sowohl in Norwegen als auch in Russland illegal, kommen aber zu bestimmten Zeiten zum Teil in erheblichem Maße vor. An einer Quantifizierung dieser Rückwürfe wird zurzeit intensiv gearbeitet, sie gehen noch nicht in die Bestandsberechnung ein. [76]

 

Einflüsse der Fischerei auf die Umwelt

Durch den Einsatz von Grundschleppnetzen kann der Meeresboden geschädigt werden. Einen negativen Effekt hat dieses Gerät auf die Fauna des Hartbodens, hier hat als Folge des Einsatzes des Grundschleppnetzes die Abundanz von z.B. Schwämmen und Kaltwasser-Korallen abgenommen. Verlorengegangene Geräte wie Kiemennetze können für eine gewisse Zeit weiterfischen (ghost fishing). Der Einfluss des „ghost fishing“ ist jedoch noch nicht quantifiziert worden. [30] [83] [178]

 

Biologische Besonder­heiten

Der nordostarktische Kabeljau kann bis 170 cm lang und 55 kg schwer werden. Das Alter der ersten Geschlechtsreife hat in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen. Hat der Kabeljau in den 1940er Jahren durchschnittlich im Alter von über 10 Jahren erstmals gelaicht, wird er seit den 1980er Jahren schon im Alter von 6 bis 7 Jahren geschlechtsreif. Ob dies durch klimatische Faktoren oder genetische Selektion hervorgerufen wird, und ob der Vorgang bei nachlassendem Fischereidruck umkehrbar wäre, ist umstritten. Adulte Tiere unternehmen jährlich eine Laichwanderung in bestimmte Laichgebiete an der norwegischen Westküste. Das Laichen findet im Freiwasser, z.B. im Gebiet um die Lofoten, zwischen Februar und April statt. Die Eier und Larven werden mit der norwegischen Küstenströmung und dem norwegischen atlantischen Strom in die Barentssee verdriftet, wo die Jungfische im Spätherbst zum Bodenleben übergehen. Der Kabeljau ist die wichtigste räuberische Fischart in der Barentssee und ernährt sich von größerem Zooplankton, Jungfischen (z.B. Lodde, Hering und Schellfisch) und Garnelen. [76] [53]

 

Zusätzliche Informationen

Der während der Laichzeit bei den Lofoten erbeutete Kabeljau wird auch „Skrei“ genannt, was so viel wie „Wanderer“ bedeutet. Der „Skrei“ ist durch sein besonders feines und weißes Fleisch als Speisefisch sehr beliebt. Ein zunehmender Anteil von Fängen aus diesem Bestand wird auf See umgeladen und zur Filetierung mit Frostschiffen nach China transportiert. [2] [14]

 

Zertifizierte Fischereien

Eine kleinere und eine große Fischerei auf Nordost-arktischen Kabeljau sind Nachhaltigkeitszertifiziert nach den Standards des Marine Stewardship Councils (MSC) (2010 etwa 35% der Fangmenge), zwei weitere sind im Zertifizierungsverfahren. [4] Siehe
www.msc.org/track-a-fishery/certified/north-east-atlantic/domstein-longliner-partners-north-east-arctic-cod
www.msc.org/track-a-fishery/certified/north-east-atlantic/Norway-north-east-arctic-offshore-cod
www.msc.org/track-a-fishery/in-assessment/north-east-atlantic/barents-sea-cod-and-haddock
www.msc.org/track-a-fishery/in-assessment/north-east-atlantic/norway-north-east-arctic-inshore-cod

Soziale Aspekte

Die Kabeljaufischerei in der Norwegensee und im Barentsmeer wird überwiegend mit großen Fabrikschiffen durchgeführt. Die Fahrzeuge fahren unter norwegischer, russischer oder EU-Flaggen, die Arbeitsbedingungen an Bord und die Entlohnung erfolgt daher nach den (sehr unterschiedlichen) Regeln dieser Staaten. [13] [39]

 

AutorJahrTitelQuelle
[2]Muus BJ, Nielsen JG1999Die Meeresfische Europas Franckh-Kosmos Verlag
[4]Marine Stewardship Council (MSC)Fisch und Meeresfrüchte aus zertifiziert nachhaltiger Fischereimsc.org
[13]Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) Homepageble.de
[14]Fisch-Informationszentrum e.V. (FIZ)Fisch-Informationszentrum e.V. Homepagefischinfo.de
[30]Food and Agriculture Organization (FAO)FAO. © 2003-2010. Fisheries Topics: Technology. Fish capture technology. In: FAO Fisheries and Aquaculture Department [online]. Rome. Updated 2006 15 09.[Cited 10 June 2010]fao.org
[39]Fischereiverwaltung, NorwegenOnline Portal des Fiskeridirektoratet (Fischereiverwaltung), Norwegenfiskeridir.no
[53]Drinkwater KF2005The response of Atlantic cod (Gadus morhua) to future climate change ICES Journal of Marine Science 62:1327-1337
[76]ICES2010Report of the Advisory Committee, 2010. Book 3. The Barents Sea and the Norwegian Sea. 3.4.1. Cod in Subareas I and II (Northeast Arctic cod)ices.dk
[77]ICES2010Report of the Arctic Fisheries Working Group (AFWG), 22-28 April 2010, Lisbon, Portugal/Bergen, Norway). ICES CM 2010/ACOM:05. 664 pp. 3. North-East Arctic Cod (Subareas I and II)ices.dk
[81]Ministerium für Handel, Industrie und Fischerei, NorwegenOnline Portal des Nærings- og fiskeridepartementet (Ministerium für Handel, Industrie und Fischerei), Norwegenregjeringen.no
[82]Ministry of Fisheries and Coastal Affairs, Norwegen2010Agreement on Norwegian-Russian fisheries for 2010. Pressemitteilung No.: 97/2009Ministry of Fish
[83]Fossa JH, Mortensen PB, Furevik DM2002The deep-water coral Lophelia pertusa in Norwegian waters: distribution and fishery impacts Hydrobiologia 471:1-12
[178]FAO Food and Agriculture Organization2016Abandoned, lost and discarded gillnets and trammel nets, Methods to estimate ghost fishing mortality, and the status of regional monitoring and management FAO Fisheries and Aquaculture Technical Paper 600, FOOD AND AGRICULTURE ORGANIZATION OF THE UNITED NATIONS, Rome, 2016